Katrin Göring-Eckardt, die Vorsitzende der Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag, wirft im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 30-jährigen Jubiläum einen kritischen Blick zurück auf die Geschichte der deutschen Einheit.

Sie erklärte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ für die am Dienstag erscheinenden Ausgaben der Tageszeitungen des Verbundes, auf der einen Seite gebe es „Freiheit und Demokratie und all die Möglichkeiten, die wir haben“. Die Menschen im Osten Deutschlands hätten etwas ganz Neues aufgebaut, und die Deutschen seien „als Europäerinnen und Europäer“ vereint worden. „Auch das gemeinsame Europa ist erst entstanden, als der Eiserne Vorhang eingerissen wurde“, betonte sie mit einem Blick über die deutschen Grenzen hinaus.

Die Grünen-Politikerin ergänzte allerdings: „Leider erleben wir die Einheit nicht wirklich als Einheit“. Aus der Perspektive der Westdeutschen sei die Wiedervereinigung lange als ein Anschluss und nicht als etwas „gemeinsames Neues“ betrachtet worden. Darüber hinaus mangele es an einer Anerkennung der „ostdeutschen Transformationsleistung“ und auch der ostdeutschen Erfahrungen in den vergangenen drei Jahrzehnten. Als Beispiele nannte Göring-Eckardt die Selbstverständlichkeit der Kinderbetreuung, die Tatsache, „dass Mütter arbeiten können, ohne dass sie als „Rabenmütter“ gelten“, oder die Polikliniken, „die heute medizinische Versorgungszentren heißen, damit sie nicht an die DDR erinnern“. Die Menschen in Ostdeutschland hätten „harte Umbrüche erlebt“ und sie, trotz gelegentlicher Misserfolge, auch bewältigt. Diese Erfahrungen, mit dem Wandel umzugehen, seien „gute Voraussetzungen dafür, dass man resilient wird – auch für neue Krisen“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen weiter. Trotz aller Brüche und mancher Misserfolge stecke für sie „im Scheitern immer auch eine Möglichkeit, es beim nächsten Mal besser zu machen“. Diese Chance dürfe man jetzt nicht vergeben, forderte Göring-Eckardt.

Die in der DDR aufgewachsene Politikerin rief dazu auf, auf die Vorherrschaft der Westdeutschen in den gesellschaftlichen Eliten zu reagieren. Hierbei handele es sich um „eines der zentralen Probleme“, stellte Göring-Eckardt fest, und hier sei eine gesellschaftliche Antwort erforderlich. Egal, ob es um die Leitung eines Unternehmens, eines Gerichts oder einer Universität gehe, müsse es bei entsprechenden Einstellungen eine Selbstverständlichkeit werden, darauf zu achten, „ob es Bewerberinnen oder Bewerber gibt, die in Ostdeutschland geboren, aufgewachsen oder sozialisiert wurden“. Die Erfahrungen, die die Menschen aus Ostdeutschland mitbrächten, seien „sehr wertvoll“. Deutschland verzichte hier „auf eine Ressource, auf die wir nicht verzichten sollten“, mahnte Göring-Eckardt im Gespräch mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.

Redaktion poppress.de, A-1010413