Eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat ergeben, dass Polen zu einem der größten Nettozahler des europäichen Wiederaufbaufonds werden könnte, den Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hatten.

Die Tageszeitung „Die Welt“ berichtet in ihrer Ausgabe vom Montag, die bislang nicht veröffentlichte Analyse des ZEW simuliere die Verteilung der Finanzmittel aus dem 500 Milliarden Euro umfassenden Fonds unter zwei denkbaren Verteilungsschlüsseln.

Wäre die Höhe der Auszahlungen allein daran gebunden, wie stark die Wirtschaftsleistung der Länder im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit eingebrochen ist, dann würde Deutschland zwar etwa 130 Milliarden Euro in den Aufbaufonds zahlen, aber gleichzeitig 107,3 Milliarden Euro aus Brüssel zugeteilt bekommen.

Deutschlands Nettobeitrag für den Fonds betrüge dann also 23,5 Milliarden Euro. Bei der Anwendung dieses Verteilungsschlüsels würde Polen 10,4 Milliarden Euro mehr in den Fonds einzahlen als es herausbekäme, und das Land wäre somit der zweitgrößte Nettozahler. An seiner Wirtschaftsleistung gemessen wäre Polen dann sogar der größte Nettozahler. Der Betrag, den das Land zu zahlen hätte, entspräche fast zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus dem Jahr 2019. Für Rumänien, das immerhin das zweitärmste Land der Europäischen Union ist, betrüge der Nettobeitrag 2,6 Milliarden Euro oder 1,16 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Faktisch wären bei diesem Verteilungsschlüssel ohnehin fast alle Mitgliedsstaaten der EU Nettozahler. Nur die Länder Südeuropas und Frankreich wären Nettoempfänger. Der größte Empfänger wäre Italien, das 25,8 Milliarden Euro erhalten würde. Es folgen Spanien mit 13,7 Milliarden und Frankreich mit rund 10,7 Milliarden Euro auf Platz drei. Die Staaten Griechenland, Portugal, Zypern und Kroatien würden auf den weiteren Plätzen liegen.

Bei der zweiten Simulation wurde ein anderer Verteilungsschlüssel durchgespielt. Hier wurde bei der Verteilung des Geldes auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit während der Corona-Krise berücksichtigt, so wie es mittel- und osteuropäische Staaten in der Union fordern. Dieser Schlüssel hätte eine stark veränderte Verteilung zur Folge. Wenn bei der Berechnung der Rückgang der Konjunktur mit 80 Prozent zum Tragen käme und das Ansteigen der Arbeitslosigkeit mit 20 Prozent, so würden auch die Staaten Mittel- und Osteuropas und die drei baltischen Länder zu den Nettoempfängern zählen. Die wichtigsten Nettoempfänger wären in diesem Szenario an erster Stelle Spanien mit 24,2 Milliarden, gefolgt von Italien mit 19,2 Milliarden und Griechenland mit 4,9 Milliarden Euro. Die Nettozahlungen an Italien und Frankreich würden deutlich kleiner ausfallen, Frankreich etwa würde nur noch 1,36 Milliarden Euro erhalten. Unter Anwendung dieses Schlüssels wären 17 EU-Mitgliedsstaaten Nettoempfänger. Es gäbe nur noch 10 Nettozahler für den Fonds, dazu gehörten Schweden mit einer Nettozahlung von 4,67 Milliarden Euro, Österreich mit 4,4 Milliarden Euro und Dänemark mit 3,9 Milliarden Euro Nettozahlung.

Für die Bundesrepublik hätte die Einbeziehung der Arbeitslosigkeit in den Verteilungsschlüssel gemäß der zweiten Modellrechnung wesentliche Nachteile. Der Nettobeitrag Deutschlands würde von 23,5 Milliarden Euro auf 38,6 Milliarden Euro zunehmen. Auch die Nettobeiträge Belgiens, Österreichs, Dänemarks und der Niederlande würden steigen.

Friedrich Heinemann, der Leiter des Bereichs „Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW und Autor der unveröffentlichten Analyse, erläuterte der „Welt“, die Staaten Osteuropas hätten ein Interesse daran, bei der Verteilung der Gelder aus dem Wiederaubbaufonds auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit als Faktor zu berücksichtigen, denn das bedeute für sie eine Entlastung. Das führe aber auch dazu, dass entsprechend weniger Geld nach Südeuropa fließen könne. Die Einbeziehung der Arbeitslosigkeit als ein Kriterium bei der Berechnungsei allerdings nicht unproblematisch, so Heinemann weiter, denn sie „bestrafe“ Länder wie etwa Deutschland, die ihre jeweiligen Arbeitsmärkte durch weitgehende Leistungen im Falle von Kurzarbeit schützten.

Das 1990 gegündete ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat seinen Sitz in Mannheim und gehört zur Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL). Geleitet wird es von Achim Wambach und Thomas Kohl. Es gilt als eines der führenden europäischen Wirtschaftsforschungsinstitute.

Redaktion poppress.de, A-1010413