Knapp die Hälfte aller ukrainischen Flüchtlinge würde gern längerfristig in Deutschland bleiben und unternimmt entsprechende Schritte.

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung veröffentlichte am Mittwoch (12. Juli 2023) eine Studie mehrerer Institute, die den Bleibewillen ukrainischer Flüchtlinge untersucht hatte. Demnach planen 44 % von ihnen, mindestens mehrere Jahre und vielleicht auch für immer in Deutschland zu bleiben.

Die letzte Befragung dieser Art war im Spätsommer 2022 durchgeführt worden. Gegenüber den damaligen Ergebnissen hat sich die Zahl der Bleibewilligen um fünf Prozentpunkte erhöht. Im Detail stellt sich das Bild noch differenzierter dar: 71 % der Ukrainerinnen und Ukrainer wollen möglicherweise langfristig, aber nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Von diesen wollen 38 % nach dem Ende des Krieges in ihre Heimat zurückzukehren. 30 % wollen den Kontakt nach Deutschland sehr eng halten und möglicherweise zeitweise hier leben.

Für die Bleibeabsichten spielt die familiäre Situation der Betroffenen und ihre soziale Integration eine große Rolle. Personen mit Partnern im Ausland wollen kaum langfristig in Deutschland bleiben. Diejenigen Geflüchteten, die gerade eine Ausbildung suchen oder schon begonnen haben und gleichzeitig schon gut Deutsch sprechen, würden gern dauerhaft ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegen. Dies gilt umso mehr, wenn sie sich hier willkommen fühlen.

Der Analyst Markus M. Grabka (DIW Berlin) nannte das Zwischenfazit der Studie durchaus ermutigend. Es belege, dass bei der gesellschaftlichen Teilhabe zuletzt deutliche Fortschritte zu verzeichnen seien. Yuliya Kosyakova vom Nürnberger IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung), die dort den Fachbereich Integration, Migration und internationale Arbeitsmarktforschung leitet, verwies bei der Vorstellung der Studie darauf, dass die gegenwärtige Integration ukrainischer Flüchtlinge keinesfalls ein Selbstläufer sei. Diese würden Planungssicherheit benötigen. Sie müssten wissen, ob sie sich auch nach Kriegsende langfristig in Deutschland aufhalten dürfen. Dies sei entscheidend für ihre Motivation, Deutsch zu lernen und eine Berufstätigkeit anzustreben.

Insbesondere beim Erwerb deutscher Sprachkenntnisse konnten die Forscher bei der jüngsten Studie deutliche Fortschritte verzeichnen. Mit Stand Anfang 2023 hatten drei Viertel der ukrainischen Geflüchteten bereits mindestens einen Deutschkurs besucht und vielfach bereits abgeschlossen. Diese Kurse finden am häufigsten im Rahmen von Integrationskursen statt. Ihre eigenen Deutschkenntnisse schätzen die Geflüchteten besser als noch vor einem Jahr ein. Zwar glauben nur 8 % von ihnen, über „gute“ oder gar „sehr gute“ Deutschkenntnisse zu verfügen, doch immerhin 27 % antworteten auf die betreffende Frage, dass „es geht“. Vor einem Jahr gaben diese Antwort nur 14 %. Sie verweist darauf, dass sich diese Personen im Alltag hinreichend auf Deutsch verständigen können. Am erfreulichsten ist die Entwicklung bei denjenigen, die noch „gar nicht“ Deutsch sprechen können: Deren Anteil lag vor einem Jahr bei 36 %, inzwischen hat er sich auf 18 % halbiert. Diese Zahlen stammen ebenfalls von Anfang 2023. Mit gegenwärtigem Stand im Juli dürfte ein Großteil den noch zu Jahresbeginn absolvierten Integrationskurs abgeschlossen haben. Daher dürften die Deutschkenntnisse noch weiter gestiegen sein.

Nina Rother leitet am Nürnberger Bamf-FZ (Forschungszentrum des Bamf) den Forschungsbereich zur Integration und dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie schätzt ein, dass viele Flüchtlinge noch weitere Sprachkurse besuchen werden und außerdem verstärkt Deutsch im Alltag lernen. Sie seien nach einer Arbeitsaufnahme im beruflichen Bereich dazu gezwungen und würden zudem mehr und mehr private Kontakte mit Inländern knüpfen. Ihre Erwerbstätigkeitsquote ist seit dem letzten Jahr leicht von 17 auf 18 % gestiegen. Befragt wurden Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren. Mehr als zwei Drittel der Geflüchteten ohne gegenwärtige Beschäftigung wollen umgehend eine Arbeit aufnehmen. Der Trend ist erfreulich, weil er sich auf ihr Haushaltseinkommen auswirkt. Bedarfsgewichtet lag es zum Befragungszeitpunkt bei rund 850 Euro monatlich. Der Medianwert (mittlerer Verteilungswert) lag mit 750 Euro noch darunter und beträgt weniger als die Hälfte bei der deutschen Gesamtbevölkerung.

Kinder und Jugendliche sind bei den ukrainischen Geflüchteten gegenüber anderen Migrantengruppen deutlich überrepräsentiert. Das liegt daran, dass die Ukraine wehrfähigen Männern die Ausreise nicht gestattet und daher sehr viele Ukrainerinnen ohne Partner, aber mit mindestens einem Kind nach Deutschland kamen. Knapp die Hälfte der Kinder ist noch keine zehn Jahre alt. Die meisten von ihnen sind körperlich gesund. Ihr psychisches Wohlergehen ist gegenüber der ersten Befragung etwas gestiegen, doch es erreicht nach wie vor nicht die Normwerte von Kindern und Jugendlichen, die in einer friedlichen Umgebung aufwachsen. Referenzwerte für diese Betrachtung stammen aus Deutschland. Die schulpflichtigen ukrainischen Kinder besuchen in Deutschland fast durchweg eine Schule (allgemein- oder berufsbildend). Eine Kindertagesbetreuung nehmen die Familien aber nur sehr selten in Anspruch. Zuletzt ist dieser Anteil auf knapp die Hälfte aller Kinder bis zum sechsten Lebensjahr gestiegen. Der Leiter der BiB-Forschungsgruppe Internationale Migration (Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung) Andreas Ette merkte dazu an, dass unbedingt ausreichend viele Kita-Plätze für ukrainische Geflüchtete bereitgestellt werden sollten. Nur so könnten alle Familienangehörigen schnell Deutsch lernen und die Eltern eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Dies helfe den Geflüchteten, Struktur in ihren Alltag zu bringen, Freunde zu finden und Chancen zu generieren.

Redaktion poppress.de, A-055824