Trotz geringerer Corona-Verluste als erwartet, setzt Daimler weiter auf einen Konzernumbau und die globale Einsparung von bis zu 20.000 Arbeitsplätzen.

Die Schwierigkeiten der deutschen Automobilbranche bei der Neuorientierung auf E-Mobility und Mobilitätsdienstleistungen zeigen sich auch deutlich beim bisherigen Branchenprimus Daimler. Der Versuch den Anschluss an die internationalen Technologieführer auf dem Gebiet der E-Mobility zu finden, ist verbunden mit einem strikten Sparkurs und einem Umbau der Konzernstruktur. Seit der Übernahme der Stuttgarter Konzerns durch Ole Källenius kursieren verschiedene Sparmodelle, welche die Einsparung von mehreren tausend Stellen beim Autobauer vorsehen. Nachdem sich das Management auch bei der vor kurzem stattgefundenen virtuellen Aktionärsversammlung bisher nicht auf eine konkrete Zahl festgelegt hat, kommen aus gut informierten Kreisen Meldungen über eine stetig steigende Stellenzahl. Von den global bei Daimler beschäftigten 300.000 Mitarbeitern, stehen nach dpa-Informationen aktuell bis zu 20.000 zur Disposition. Als weiterer Faktor der Einsparstrategie arbeitet das Management derzeit an Effektivitätssteigerungsprogrammen in der Produktion. Die von Källenius angekündigte Verschlankung von Produktion und Verwaltung soll in den nächsten Jahren beschleunigt umgesetzt werden. Dies obwohl der Corona-Lock-Down den Stuttgarter Konzern bislang nicht in dem Ausmaß getroffen hat, wie befürchtet.
Die heute veröffentlichten Umsatz- und Gewinnzahlen weisen zwar einen erheblichen Einbruch des Autogeschäftes weltweit aus, sind dennoch aber nicht derart drastisch wie erwartet. Trotz des Lock-Downs der Produktion und der wegbrechenden Verkaufszahlen, konnte Daimler seine Verluste in Grenzen halten. Statt dessen zeigte sich im Juni eine leichte Aufwärtstendenz, die in der Stuttgarter Zentrale sogar als starkes Signal einer raschen Erholung gewertet wurde. Von April bis Juni 2020 vermeldet der DAX-Konzern einen vorläufigen Verlust von 1,68 Milliarden Euro. Dieser Verlust ist nur geringfügig höher als der vergleichbar Vorjahresverlust vor Steuern und Zinsen von 1,56 Milliarden Euro. Im zweiten Quartal 2019, hatte Daimler mit den Folgen des Dieselskandals und der ins Haus stehenden Regressforderungen von Kunden zu kämpfen. Hinzu kamen Funktionsdefizite bei der neuen Airbag-Generation Takata, die vor allem in den USA zu Schadensersatzklagen geführt hatten.
Aufgrund der Quartalszahlen und der positiven Einschätzung zur wirtschaftlichen Erholung auf dem Automobilsektor, konnten die Aktienwerte von Daimler an der Frankfurter Börse um 4,8 Prozent zulegen und stabilisierten sich bei einem Wert von über 39 Euro. Damit führte der Autobauer die DAX-Werte am Freitag an. Die Daimler-Aktie setzte damit ihren positiven Trend aus den vergangenen Wochen fort. Seit dem Allzeittief infolge des Corona-Lock-Downs von knapp über 21 Euro, konnte die Aktie ihren Handelswert nahezu verdoppeln. Der heutige Wert ist nur noch etwa 3 Euro unter dem Vor-Corona-Wert. Daimler war in den Lock-Down mit einer Notierung von knapp über 42 Euro gegangen.
Die positive Stimmung des Managements wird von der überwiegenden Zahl der Börsenanalysten geteilt. Der Chef-Analyst von JP-Morgan, José Asumendi, gab seiner Einschätzung Ausdruck, wonach sich Daimler in einer erstaunlich starken Aufwärtsbewegung befindet. Die Analysten der Geschäftsbank Goldman-Sachs verwiesen ebenso auf die, geringer ausgefallenen Verluste auf dem Sektor der PKW´s und SUV´s.
Trotz der Hoffnungsschimmer am Horizont, die auf eine baldige Markterholung hinweisen, sieht die Zukunft für die Mitarbeiter von Daimler weniger positiv aus. Daimler bleibt strikt auf dem Einsparkurs, den Ole Källenius bei seinem Amtsantritt angekündigt hatte. Das Daimler-Management verweist auf das Zusammentreffen von technologischer Transformation und der globalen Rezession infolge der Corona-Pandemie. Beide Entwicklungen zusammengenommen erfordern deutlich stärkere Anstrengungen als die bisher ins Auge gefassten. Gegenüber dpa betonte der für die Effektivitätsprogramme zuständige Personalvorstand Wilfried Poth, dass dem Konzern Veränderungen bevorstünden, die über den in den Medien kolportierten Stellenabbau von 15.000 hinausgehen. Die aktuell diskutierten Einsparpotentiale sehe ich deutlich jenseits der bisher genannten Zahlen, erklärte der Personalchef des DAX-Konzerns. Wenn wir betriebsbedingte Kündigungen vermeiden wollen, werden wir mehr Stellen sozialverträglich abbauen müssen.
Das „Handelsblatt“ zitiert in seiner heutigen Ausgabe „gutinformierte Kreise“ aus dem direkten Umfeld, welche das Einsparpotential beim Personal auf über zwei Milliarden Euro beziffern. Damit wurden die Ansprüche seit den letzten Verlautbarungen um über 600.000 Millionen Euro erhöht. Das Management befindet sich derzeit in konfliktreichen Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern. Der Betriebsrat von Daimler nannte dabei gegenüber dpa als primäres Ziel, dass endlich konkrete Zahlen vorgelegt werden müssten, auf deren Basis dann erst Verhandlungen sinnvoll und möglich wären.
Die Reform der Produktpalette ist derweil in vollem Gange. Für den wichtigen US-Markt wurde heute eine strategische Neuorientierung vorgestellt. Die Produktion in der Daimler-Fabrik in Tuscaloosa soll baldmöglich gestrafft und auf die Bedürfnisse des US-Marktes ausgerichtet werden. Daimler wird die C-Klasse in den USA nicht weiterverfolgen und setzt in vollem Umfang auf die Produktion von SUV´s. Ob sich diese Orientierung auf die schweren und verbrauchsintensiven Vans tatsächlich auszahlt, werden die nächsten Jahre zeigen. Källenius sieht in dieser Neustrukturierung der Produktion einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur E-Mobility, was zumindest diskutierwürdig ist. Daimler setzt in der Elektrifizierung seiner Flotte weiter auf die Flaggschiffe der Luxus-Großraumfahrzeuge.
Zwischen April und Juni 2020 brach der Automobilverkauf bei Mercedes-Benz um 20 Prozent ein. Auf den globalen Märkten setzte Daimler knapp 460.000 Fahrzeuge um. Als wichtigster Markt und Motor der Aufwärtsentwicklung erwies sich erneut der chinesische Markt. Nachdem der ökonomische Lock-Down in China im Laufe des Mais beendet wurde und die Volksrepublik sich auf dem Weg der Erholung befindet, konnte Daimler seinen Umsatz an Fahrzeugen um 22 Prozent steigern. Damit konnte der Stuttgarter Konzern die schwachen Zahlen der ersten drei Monate des Jahres mehr als ausgleichen.
Ole Källenius sieht sich durch die Halbjahreszahlen in seinem Spar- und Reformkurs bestätigt. Wir befinden uns auf der ersten Etappe der strukturellen Neuausrichtung. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen wir noch erhebliche Anstrengungen unternehmen, warnt der Daimler-Chef. Die Kosten und die Kapazitätsauslastungen müssen dringend den Erfordernissen angepasst werden, fordert der Top-Manager.
Einen überraschenden Beitrag zum positiven Gesamtergebnis im ersten Halbjahr konnte die PKW- und Nutzfahrzeugproduktion leisten. Statt einer Belastung erwies sich die Produktion als Aktivposten, der im Zeitraum sogar einen Gewinn von 685 Millionen Euro erwirtschaften konnte. Källenius wertet die Zahlen als erstes Signal, dass sich die Umbauprogramme zu rentieren beginnen. Das Management hat sich erfolgreich auf die Effizienzsteigerung des Produktionskapitals konzentriert. Wir konnten die Ausgaben entscheidend nach unten korrigieren und damit eine nachhaltige Entwicklung bei den Kosten einleiten, betont Källenius.
Daimler profitiert derzeit von dem Instrument der Kurzarbeit und der Stilllegung der Produktionspotentiale. Die Autobauer hatten die laufenden Kosten durch die Aussetzung von Zulieferverträgen nach unten korrigiert und damit die Kosten zum Teil an die öffentliche Hand delegiert. Durch die Stilllegung konnte eine Produktion auf Halde vermieden werden. Damit kommt eine Erholung auf dem Automobilmarkt fast zeitgleich der wieder anlaufenden Produktion zugute.
Die präsentierten Zahlen deuten auf eine erfolgreiche Korrektur der Finanzstruktur hin, die immer wieder von Börsenanalysten gerügt wurde. Die Investment-Bank Mainfirst wertet die positiven Werte, die Daimler präsentieren konnte, denn auch als notwendige Korrekturmaßnahme. Daimler hat einen deutlich überbewerteten Anteil des Betriebskapitals. Diese Schieflag hat sich verringert, lobt der Mainfirst-Chef-Analyst Daniel Schwarz. Daimler befindet sich finanztechnisch auf dem besten Weg, die „Krankheit“ der europäischen Autobauer zu überwinden.
Der Corona-Lock-Down hat die Perspektive der Investoren dahingehend verändert, dass die Höhe des freiverfügbaren Eigenkapital zu einem entscheidenden Bewertungsfaktor geworden ist. Der Free Cash-Flow ist nicht nur bei der Reaktion auf plötzlich auftretende Krisenphänomene existenziell, er gibt auch Hinweise auf die potentielle Dividende, die ein Konzern in Krisenzeiten zu leisten in der Lage ist.
Daimler wird die endgültigen Umsatz- und Gewinnzahlen in der nächsten Woche der Öffentlichkeit und der Finanzwelt vorlegen.

Redaktion poppress.de, NeoMatrix