Bundesfinanzminister Scholz will derzeitige Wirtschaftskrise zur Fortentwicklung Europas nach dem historischem Vorbild der USA nutzen.

Der Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz erklärte gegenüber der Wochenzeitung „Die Zeit“, dass er sich ein stärkeres Zusammenwachsen Europas in Richtung auf eine Union vorstelle. In der augenblicklichen Situation werde doch allen Beobachtern klar, dass manches in der Europäischen Union kaum weiterhin so gehandhabt werden könne, wie es momentan geschehe.

Es sei für ihn durchaus vorstellbar, dass die durch das Coronavirus ausgelöste Krise einen positiven Impuls für Europa auslösen könnte. Denn die Europäer würden unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts nur dann bestehen, wenn sie gemeinschaftlich handelten. Eine stärkere Integration der Finanzpolitik könne, so Scholz, einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu diesem notwendigen gemeinsamen Handeln darstellen.

Wenn einerseits über gemeinschaftliche Ausgaben gesprochen werde, dann sei es nur konsequent, andererseits auch über die Möglichkeit zu sprechen, der Europäischen Union eigene Einnahmequellen zu verschaffen, wofür sich nach Auffassung von Finanzminister Scholz beispielsweise die Einnahmen aus einer europaweit vereinheitlichten Steuer auf Finanztransaktionen oder auch Einkünfte aus einem Handel mit Emissionsrechten für den See- und Luftverkehr anbieten.

Eine derartige Reform des Steuersystems könne sich an Vorbildern aus der Geschichte orientieren. So sei aufgrund einer Initiative von Alexander Hamilton, des ersten Finanzministers der Vereinigten Staaten, im Jahr 1790 eine Bündelung von Kompetenzen zur Generierung von Einnahmen auf zentralstaatlicher Ebene gelungen und zugleich die Verschuldungsfähigkeit des Gesamtstaats der USA eingeführt worden.

Dagegen hält der Bundesfinanzminister die Schaffung der „Vereinigten Staaten von Europa“ für die überschaubare Zukunft für nicht realistisch. Europa werde noch für lange Zeit ein Kontinent der Einzelstaaten mit individuellen Sprachen, Traditionen und Kulturen bleiben.

In einer globalisierten Welt werden nach Einschätzung von Olaf Scholz zukünftig die USA und China, aber auch Russland, Indien und Brasilien um ihren Anteil an Einfluss und Macht ringen. Wenn die Europäer und Europäerinnen daran interessiert seien, ihr Schicksal weiterhin eigenständig bestimmen zu wollen, dann sei eine Bündelung der europäischen Kräfte unverzichtbar.

Sein Vorstellung sei, so erklärte der Vizekanzler, die Entwicklung einer immer besseren Europäischen Union („more perfect union“). Bemühungen mit dem Ziel einer solchen Optimierung der EU dürften aber nicht von der wenig realistischen Annahme ausgehen, dass „der Heilige Geist über uns kommt“ und alle Europäer eines schönen Morgens mit ein- und derselben Vorstellung von Europa aufwachten. Dies, so Scholz, sei schlicht realitätsfremd. Vielmehr müsse jemand vorangehen und aktiv für seine europäischen Überzeugungen werben.

Redaktion poppress.de, A. Camus