Einschränkungen der sozialen Kontakte bei Kindern und Jugendlichen mit erheblichen Folgen für die Psyche.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte warnt vor den Folgen der geplanten Einschränkung der Sozialkontakte. Für Kinder und Jugendliche ist die soziale Interaktion mit Gleichaltrigen von entscheidender Bedeutung bei der Ausbildung der Persönlichkeit, betont Thomas Fischbach Präsident des Ärzteverbands gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der Verzicht auf Sozialkontakte ist nicht nur belastend für die Kinder und Jugendlichen, sondern kann auch langfristig zu Problemen im sozialen Miteinander führen. Der Ärzteverband plädiert für eine Differenzierung je nach Altersstufe. Für Kinder unter zehn Jahren können wir auf die Kontaktbeschränkungen verzichten, da sie sich zwar mit Covid-19 anstecken können, den Virus aber kaum weitergeben. Für diese Altersstufe ist die Aufrechterhaltung der sozialen Interaktion auch am wichtigsten.
Bei Schülern in der Sekundarstufe ist die Situation komplizierter, wendet der Ärztepräsident ein. Hier gibt es kaum einen Unterschied zum Infektionsgeschehen bei Erwachsenen. Deshalb könnte eine Verschärfung der Regelungen dazu beitragen, dass wir einen erneuten totalen Lock-Down an den Schulen verhindern können. Wir sollten die Institutionen unbedingt offenhalten, denn eine Quarantäne zu Hause ohne Anbindung und Kontakte hätte katastrophale Auswirkungen auf die psychische Entwicklung der Kinder. Bislang ist die sogenannte „Ein-Kind-Regel“ nur als Empfehlung formuliert, was sich allerdings nach dem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten am kommenden Mittwoch ändern könnte. Demnach könnten Haushalte sich nur noch mit Mitgliedern aus maximal einem anderen Haushalt treffen. Für viele Kinder und Jugendliche käme dies einer Isolierung zu Hause in der eigenen Familie gleich, warnt Fischbach. Egal wie die Beschlüsse in der nächsten Woche aussehen, die Funktion von Schulen und Kindertagesstätten darf nicht ausgesetzt werden, ihre Öffnung muss höchste Priorität haben, appelliert der Kinderarzt. Aus ärztlicher Sicht gibt es keine wissenschaftliche Begründung für einen flächendeckenden Lock-Down der Schulen. Stattdessen verweist Fischbach auf Studien, die das Infektionsgeschehen bei Kindern bis zehn Jahren unkritisch einschätzen. Kinder sind zwar gefährdet selbst infiziert zu werden, aber ihre Fähigkeit zur Weitergabe des Virus an andere Kinder oder Familienmitglieder ist aber deutlich eingeschränkt. Der Chef des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte schätzt die Kontrollmöglichkeiten des Infektionsgeschehens an Schulen und in Kitas als sehr hoch ein. Wenn wir eine durchdachte Teststrategie erarbeiten, können wir mit relativ einfachen Mitteln die weitere Ausbreitung bei einem Infektionsfall unterbinden. Eine Quarantäne des direkten Umfelds ist hier völlig ausreichend. Die Kinder und Jugendlichen sind in festen Gruppen und Klassenverbänden, was eine Nachverfolgung erheblich erleichtert. Da es derzeit auch keine Freizeitaktivitäten mehr für Kinder und Jugendliche geben, sei die Gefährdung eingrenzbar, so Fischbach.
Der Ärztepräsident appelliert deshalb eindringlich an die Politik, in der Schulpolitik Besonnenheit walten zu lassen und die Ruhe zu bewahren. Die negativen Auswirkungen eines erneuten Lock-Downs übertreffen die zu erzielenden positiven Effekte bei weitem, warnt Fischbach in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Alle Analysen aus dem ersten Lock-Down zeigen die katastrophalen Folgen überdeutlich. Die Kinder und Jugendlichen werden in ihrer langfristigen persönlichen Entwicklung durch die Verarmung der sozialen Interaktion behindert und das Fehlen des Präsenzunterrichts führt zu einer weiteren Benachteiligung von Schülern aus sozial prekären Verhältnissen. Sollte das Infektionsgeschehen Eingriffe in das Schulsystem notwendig machen, sollten die Bedingungen verbindlich und einheitlich geregelt werden. Dies gilt für die Aufteilung von Klassenverbänden oder für eine Mischform aus Präsenz- und virtuellem Unterricht. In dieser Hinsicht ist in der Zeit seit Mai in den Kultusministerien zu wenig passiert. Es gibt immer noch keine Gesamtstrategie auf dem Bildungssektor. Verbindliche Regelungen sind für Fischbach auch eine vitale Voraussetzung für Familien, die mit den veränderten Gegebenheiten umgehen müssen. Wenn es in einem Haushalt mehrere Kinder gibt, die alle in einem anderen Betreuungs- und Unterrichtsmodus eingebunden sind, ist dies für die Eltern nicht mehr praktisch handhabbar. Die Familien sind überlastet und werden damit weiterhin alleine gelassen. Der Ärztepräsident ist über die Ignoranz in der Politik dem Thema Kinder und Familien gegenüber empört. Es ist unfassbar, dass Existenzen durch eine fehlende Strategie gefährdet werden.
Die allgemeine Maskenpflicht an Grundschulen ist aus ärztlicher Perspektive umsetzbar. Allerdings sollte hier Ausnahmeregelungen geben. Gesundheitliche Beeinträchtigungen und Schäden durch das Tragen von Masken bei Kindern seien bislang nicht nachgewiesen. Auch sieht Fischbach die psychischen Folgen der Alltagmasken bei Kindern als beherrschbar an. Wenn die Betreuer und die Familien die Masken und ihre Funktion erklären und sie in den Alltag als Selbstverständlichkeit integriert werden, bewertet der Kinderarzt die psychischen Folgen als minimal. Auch Kinder sind bei entsprechender Kommunikation in der Lage, sich aus Solidarität mit anderen an solche Regeln zu halten. Der Ärztepräsident sieht für den Unterricht selbst aber keine Notwendigkeit für Grundschüler Masken zu tragen. Auf dem Schulgelände, auf dem Weg zum Unterreicht und überall, wo Begegnungen stattfinden können, sind Masken sinnvoll. Aber wenn die geltenden Abstandsregelungen eingehalten werden, können sie im Unterricht selbst abgelegt werden.

Redaktion poppress.de, NeoMatrix