Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene verlangt aufgrund neuester Studienergebnisse, Kitas und Grundschulen sofort wiederzueröffnen.

Der Intensivmediziner und Infektiologe Dr. Peter Walger, für die Medienarbeit zuständiges Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, spricht sich in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ für Lockerungen der aufgrund der Corona-Pandemie verhängten Beschränkungen aus. Dies sei unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen „unbedingt“ erforderlich, da sich zahlreiche Familien in einer teilweise untragbaren Situation befänden. Walger plädiert ausdrücklich für eine Beschleunigung des Tempos der Wiedereröffnung.

Die aktuellen Epidemiedaten rechtfertigen nach Meinung des DGKH-Vertreters eine stufenweise Wiederaufnahme des Betriebs von Kindertagesstätten und Schulen. Die bisher erfolgten Zwischenschritte zur Wiedereröffnung von Schulen sollten durch die Beschulung der jüngeren Schülerjahrgänge und die Wiederaufnahme der Betreuung von Kleinkindern ergänzt werden, lautet die Forderung der DGKH, die als Gutachter für mehrere Landesministerien in Nordrhein-Westfalen tätig ist.

Unter dem Gesichtspunkt der Infektionsgefahr sei nicht nachzuvollziehen, erklärt Walger, dass mit ersten Lockerungsmaßnahmen bei Angehörigen der Abiturklassen und anderer älterer Schülerjahrgänge begonnen werde, während Kinder, die Kindertagesstätten oder die ersten Grundschulklassen besuchen, für einen längeren Zeitraum zu Hause gelassen würden. Überall dort, wo ein Schutz durch Gesichtsmasken und Corona-Tests sichergestellt sei, solle mit sofortiger Wirkung eine Wiedereröffnung erfolgen.

Die Schäden durch Schließung von Grundschulen und Kindertagesstätten seien gewaltig, meint Peter Walger. Denn die Notbetreuungen kämen ja nur einem kleinen Teil der Kinder zugute. Tausende von Müttern und Vätern könnten nicht ihrer Arbeit nachzugehen, da es an Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder fehle. Falls längere Zeit mit der Wiedereröffnung von Kitas und Schulen abgewartet werde, sei mit einer Eskalation der Folgeschäden zu rechnen.

Der Sprecher der DGKH bezieht sich auf Informationen aus der Volksrepublik China, Analysen aus Großbritannien und Vorabinformationen aus einer in der Schweiz erstellten Studie über nur geringfügige Auswirkungen von Schulschließungen auf das Infektionsgeschehen in Deutschland und anderen Ländern Europas. Auf dieser Informationsbasis vermutet der Intensivmediziner und Infektiologe, dass eine pauschale Warnung vor einem drastischen Wiederanstieg der Neuinfektionszahl bei Öffnung von Schulen und Kitas wohl „definitiv übertrieben“ sei. Davon könne nur dann ausgegangen werden, wenn keine Maßnahmen zur Eingrenzung der Übertragungsrisiken ergriffen würden.

Walger benennt die Voraussetzungen, unter denen sogar Kindertagesstätten den Normalbetrieb wieder aufnehmen sollten. Erforderlich sei die Einhaltung strenger Hygieneregeln unter gleichzeitiger Beachtung klarer Vorgaben zur Abstandseinhaltung. Überall dort, wo sich dies nicht realisieren lasse, müssten Betreuer und Lehrer zum Tragen von Gesichtsmasken verpflichtet werden. Nicht sinnvoll erscheint es dem Mediziner jedoch, jüngere Kinder zum Tragen von Schutzmasken anzuhalten.

Nach Einschätzung des Infektiologen sollten möglichst regelmäßig Corona-Tests durchgeführt werden. Kinderbetreuung dürfe nur durch Personal mit negativem Corona-Testergebnis erfolgen.

Walger hält es darüber hinaus für angezeigt, bei der Abwägung aller Umstände auch die familiären Verhältnisse zu berücksichtigen – beispielsweise, ob vulnerable Eltern oder Großeltern gemeinsam mit Kindern in einem Wohnumfeld leben. Falls dies der Fall sei, so müsse ein besonderer Schutz der Eltern und Großeltern gewährleistet werden, indem sie auch zuhause Gesichtsmasken tragen, wenn sie den Kindern zu nahe kommen.

Eine weitere Schließung von Restaurants hält der Mediziner nicht für erforderlich. Wenn Infektionsschutz durch Einhaltung von Mindestabständen, das Aufsetzen von Gesichtsmasken und eventuell durch Corona-Tests garantiert werde, sei aus Sicht eines Infektiologen nichts gegen Wiedereröffnungen einzuwenden.

Selbstverständlich, so räumt Peter Walger ein, seien „Biergärten, Ballermann-Kneipen und vergleichbare Trink-Ambiente“ nicht die erste Priorität bei der Wiedereröffnung. Doch lasse sich der Betrieb von Speiserestaurants bei sachgemäßer Tisch-Anordnung und bei begrenzter Anzahl von Gästen rechtfertigen.

Selbst gegen eine Gartencafé- und Biergärten-Öffnung hätte der Sprecher der DGKH nichts einzuwenden, falls sich die Zahl der Gäste in überschaubarem Rahmen halte. Ohnehin stelle ein Aufenthalt in der frischen Luft stets einen zusätzlichen Schutzfaktor für die Gesundheit dar.

Im Übrigen verlangt Walger vom Corona-Krisenmanagement in Deutschland eine grundsätzliche Kurskorrektur. Selbst über kleinste Risiken werde hyperempfindlich, so teilweise sogar hysterisch diskutiert. Dabei würden noch nicht einmal die größten Risiken bestmöglich gemanagt, zu denen Walger die Infektionsgefahren in der ambulanten Pflege, in Heimen und in Krankenhäusern zählt.

Dabei müsse es doch, so der Vertreter der DGKH, genau andersherum sein: Im Sinne einer an die jeweiligen Umstände angepassten Epidemiebekämpfung „der zwei Geschwindigkeiten“ sollten in Bereichen niedriger Risiken größere Freiräume zugelassen werden, während im Hochrisikobereich ein rascherer und besonders wirksamer Schutz vonnöten sei.

Redaktion poppress.de, A. Camus