Annalena Baerbock, die Bundesvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen, hat angesichts des bevorstehenden Präsidentschaftswechsels in den Vereinigten Staaten zu einem stärkeren gemeinsamen Engagement der europäischen Staaten in der Verteidigungspolitik aufgerufen.

Baerbock erklärte in einem Interview für die aktuelle Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“, Europa beschäftige sich nun seit Jahren mit sich selbst, und die Regierung Trump habe sich vom Rest der Welt abgewandt. „Die Lücke, die entstanden ist, füllen autoritäre Staaten“, stellte sie fest.

Wenn man nicht wolle, dass der Westen für solche Staaten wie China, Russland oder die Türkei das Feld räume, dann müsse Europa seiner „Friedensrolle“ in der Welt wieder gerechter werden. Vor dem Hintergrund des baldigen Einzugs des demokratischen Politikers Joe Biden in das Weiße Haus sprach Baerbock sich dafür aus, die künftige Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten neu zu gestalten. Zur Auseinandersetzung um die Höhe der deutschen Rüstungsausgaben – die Bundesrepublik erfüllt bei Weitem nicht die mit der NATO vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes, die zu zahlen aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein Präsident Biden verlangen wird – , sagte Baerbock, bevor man über die Ausgaben sprechen könne, müsse zunächst über eine strategische Neuaufstellung debattiert werden. Auch die Fähigkeiten der NATO und die konkrete Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses müssten dabei thematisiert werden. „Ein theoretisches Zwei-Prozent-Ziel hilft da nicht wirklich weiter“, stellte die Grünen-Politikerin fest. Grundsätzlich zeigte sie sich aber dafür offen, auch über höhere Ausgaben für die Verteidigung und die Bundeswehr nachzudenken. „Es fehlen Nachtsichtgeräte zum Üben, von Flugstunden ganz zu schweigen.“ Hierüber müsse man ehrlicherweise sprechen, und in einigen Bereichen müsse man „mehr investieren, damit Gewehre schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren“, sagte Baerbock. Auf der anderen Seite werde aber auch viel Geld im Rüstungshaushalt „zum Fenster rausgeschmissen“, nur weil Bundesländer wie zum Beispiel Bayern mit neuen Rüstungsvorhaben ihre jeweiligen Industriestandorte stärken wollten.

Für den Fall einer Beteiligung ihrer Partei an einer Regierung nach den Bundestagswahlen im September des kommenden Jahres kündigte die Grünen-Vorsitzende an, es werde Gespräche mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron geben. Hierbei werde es auch um robuste europäische Militäreinsätze gehen. „Einfach wird das nicht“, prophezeite sie, aber man dürfe sich hier nicht verstecken. Europa müsse mehr unternehmen, es sei aber gerade jetzt ein falsches Signal, sich von den USA abzuwenden. In der Außenpolitik sei außerdem mehr Entschlossenheit bei den Themen Gesundheitsschutz, Außenwirtschaftspolitik, Bekämpfung von Sicherheitsrisiken und Bewältigung der Klimakrise erforderlich.

Auch zeigte Baerbock sich bereit, über ein neues europäisch-amerikanisches Handelsabkommen zu diskutieren. Das eigentlich geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, dass seit 2013 ausgehandelt wird, war von den Grünen immer abgelehnt worden. An dieser Position habe sich auch nichts geändert, stellte die Politikerin klar. „Wir sollten Fehler nicht zweimal machen.“ Es gebe aber durchaus eine Chance für einen neuen Beginn in der Handelspolitik und auch „für ein besseres Handelsabkommen.“ Der künftige Freihandel müsse gerechter und auch klimafreundlicher werden. „Da müssen wir eng mit der neuen US-Regierung zusammenarbeiten“, forderte Baerbock in der „Süddeutschen Zeitung“.

Annalena Baerbock wurde 1980 in Hannover geboren. Sie ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2018, gemeinsam mit Robert Habeck, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen.

Redaktion poppress.de, A-1010413