Zahlreiche deutsche Volkswirte setzen sich dafür ein, EU-Zölle auf den Import von Energielieferungen aus Russland zu verhängen. Dies sei effektiver als ein Embargo.

Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des Münchner ifo-Instituts und der in Frankfurt erscheinenden Tageszeitung FAZ. Demnach sehen 70 Prozent der im Rahmen des sogenannten „Ökonomenpanels“ befragten Wissenschaftler in solchen Zöllen eine wirkungsvolle Maßnahme zur Verringerung der Zahlungen an Russland, die gleichzeitig die negativen Folgen auf die Energieversorgung der europäischen Staaten so weit wie möglich begrenze. Zölle, so die Fachleute weiter, zwängen Russland dazu, seine Exportpreise zu senken. Gleichzeitig führe der höhere Preis in Europa durch die Mechanismen des freien Marktes zu einer Anpassung der Ressourcen. Auch Lisa Flach, die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, erklärt, Zölle könnten „eine effektive Methode sein, Druck auf Russland auszuüben“.

Allerdings beurteilen immerhin 23 Prozent der Volkswirte, die an der Umfrage teilgenommen haben, derartige europäische Zölle kritisch. Sie sehen die Gefahr, es könne durch sie zu weiteren Steigerungen der ohnehin bereits hohen Verbraucherpreise in Europa kommen. Besonders beim Gas habe Russland eine starke Verhandlungsposition, sodass ein Zoll hier in erster Linie von der EU selbst getragen würde. Auch gehe ein Zoll nicht weit genug, so ein Argument einiger Kritiker, die stattdessen eine vollständige Einstellung der Zahlungen an Russland fordern.

Allgemein und unabhängig von den aktuellen Diskussionen um den Ukrainekrieg vertreten 57 Prozent der Teilnehmer die Ansicht, die deutsche Außenwirtschaftspolitik solle die Handelsbeziehungen mit Autokratien einschränken. Derartige Geschäfte beinhalteten große geopolitische Risiken, und Deutschland trage eine Verantwortung zur Wahrung der Menschenrechte – auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Außerdem, so die Wissenschaftler, habe die Vergangenheit oftmals gezeigt, dass Autokratien ohnehin keine verlässlichen Geschäftspartner seien. Allerdings sprechen sich weitere 36 Prozent der Befragten gegen derartige Einschränkungen der Geschäftsbeziehungen mit Autokratien aus. Solche Staaten, so deren Argument, könnten ohne den Handel noch isolierter und noch gefährlicher werden.

Auch zum Lieferkettengesetz, das zum 1. Januar des kommenden Jahres in Kraft treten wird, wurden die Volkswirte befragt. Hier erwarten die Experten mehrheitlich, dass das neue Gesetz die Auslandsgeschäfte der deutschen Unternehmen erschweren wird. Sie befürchten, es werde bürokratischen Mehraufwand mit sich bringen. Auch seien die im Gesetz verlangten Informationen gar nicht ohne weiteres zu beschaffen. Zusätzlich bestehe die Gefahr, dass sich die Anzahl der internationalen Lieferanten von Vorprodukten für deutsche Unternehmen verringern werde. Nur 15 Prozent der Befragten teilen diese Befürchtungen nicht. Noch sei nicht abzusehen, wie stark das neue Gesetz tatsächlich auch durchgesetzt werde, und zusätzliche Kosten würden durch die entstehenden Reputationsgewinne der Unternehmen mehr als aufgewogen, argumentieren sie.

In einer Vermehrung der Bezugsquellen für Vorprodukte sehen die Experten den besten Weg zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Lieferketten. 88 Prozent der Befragten teilen diese Ansicht. Eine stärkere Konzentration der Beschaffung auf andere EU-Staaten und ein Ausbau der Lagerhaltung treffen auf 64 beziehungsweise 49 Prozent Zustimmung und liegen somit auf den Plätzen zwei und drei im Katalog der geeigneten Maßnahmen. 35 Prozent der Volkswirte sprechen sich für eine verbesserte Kontrolle der Lieferketten aus. 27 Prozent unterstützen einen Ausbau der Beschaffung im heimischen deutschen Markt, und 26 Prozent der Teilnehmer des „Őkonomenpanels“ von Ifo-Institut und Frankfurter Allgemeiner schließlich plädieren dafür, einstmals ausgelagerte Prozesse wieder in die Unternehmen zurückzuholen.

Redaktion poppress.de, A-1010413