Kommt die Vergemeinschaftung der EU-Schulden schleichend? Experten schlagen Alarm

Ein bislang unveröffentlichter Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) äußert scharfe Kritik an den aktuellen Vorhaben der EU-Kommission, angeblich bestehende Tabus bei der Schuldenaufnahme schrittweise aufzuweichen.

heute 01:31 Uhr | 246 mal gelesen

Es klingt erstmal technisch, aber hinter den Vorschlägen, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in den Ring wirft, steckt politischer Sprengstoff. 'Im Grunde führen diese Pläne Eurobonds durch die Hintertür ein', so bringt es Björn Kauder vom IW auf den Punkt, der gemeinsam mit Kollegen an einer aktuellen Studie gearbeitet hat – unveröffentlicht, aber aus berufenem Munde und der Presse durchgestochen. Damit, so Kauder weiter, würde die Kommission eines ihrer zentralen Corona-Versprechen brechen: Die milliardenschweren EU-Schulden sollten eigentlich eine einmalige Geschichte bleiben. Zur Erinnerung: Der Aufbaufonds von 2020, gedacht, um die Corona-Krise abzufedern, die Wirtschaft nachhaltiger zu machen und in Digitalisierung zu investieren, war das erste große 'gemeinsame Schuldenexperiment' der Union. Damals wurde betont: Ausnahme, nicht Beginn eines neuen Trends. Plötzlich steht aber wieder ein potenzieller Topf bereit – diesmal im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens ab 2028. 150 Milliarden Euro für Projekte, die den EU-Staaten wichtig sind – Energie, Militär, was eben anliegt. Und dann: ein Krisenmechanismus, der mit sage und schreibe 395 Milliarden Euro dotiert werden könnte, um 'auf Notfälle flexibel zu reagieren.' Kauder schüttelt (in meiner Vorstellung zumindest) ungläubig den Kopf: 'Wenn hier so eine Summe winkt, wer widersteht da schon lange?' Die Sorge: Mehr Schulden, ein Stück weit aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit aufgenommen, schaden der Bonität der EU – und das schicke Image der Haushaltsdisziplin kriegt Kratzer.

Die Debatte um eine schleichende Einführung gemeinsamer EU-Schulden reißt nicht ab. Besonders die Vorschläge der Kommissionspräsidentin für weitere zentrale Schuldeninstrumente stoßen auf Widerstand von Ökonomen, die die Glaubwürdigkeit der EU bei Haushaltsfragen in Gefahr sehen – immerhin war der Corona-Fonds als Ausnahme deklariert worden. Parallel haben Journalist*innen und Fachleute in den vergangenen Tagen verstärkt über einen möglichen Paradigmenwechsel in Europas Finanzpolitik berichtet und darauf hingewiesen, dass konkrete Pläne zu Catalyst- und Krisenfonds im Europäischen Parlament wie ein Lackmustest für den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten wirken könnten. Die Forderung nach einer breiteren öffentlichen Debatte, etwa über die langfristigen Risiken und Einflussmöglichkeiten der Bürgschaftsgemeinschaft, wird lauter. Hinzu kommen aktuelle politische Spannungen um die Finanzierung von Sozialleistungen, Verteidigung und Klimamaßnahmen, die zum Teil direkt an den neuen EU-Vorschlägen aufgehängt werden. Aufseiten der EU-Kommission argumentiert man indes, dass größere Solidarität und Investitionen die Einheit sichern und Europa im internationalen Wettbewerb stärken könnten, während Kritiker davor warnen, dass immer wiederkehrende gemeinsame Schuldenpakete auf lange Sicht zu erheblichen Zinslasten und einer Erosion haushaltspolitischer Disziplin führen könnten.

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