Eigentlich fing alles mit reichlich Spannung an: Im eleganten Haus „Huis ter Duin“ am niederländischen Küstenstreifen trafen sich 120 Leute – Politiker, Wirtschaftskapitäne, Köpfe aus der Wissenschaft. Die Brost-Akademie und die Deutsch-Niederländische Handelskammer hatten gerufen, und nur wenige sagten ab. Zwei Tage lang warfen sie die großen Fragen der Zeit in den Raum: Wie schafft Europa die Energiewende? Wie schaut es aus mit Wettbewerbsfähigkeit, Finanzwesen und Gesundheit – und wo droht das Abgehängtwerden, gerade im Vergleich zu ehrgeizigen Nachbarn wie den USA oder China? Mal ehrlich: Viel Optimismus war da nicht zu spüren, eher eine Art kollektive Unsicherheit. Laschet und Balkenende eröffneten den Reigen mit dem – wenig beruhigenden – Hinweis, dass beim aktuellen CO2-Emissionshandel viele Unternehmen schlicht auf der Strecke bleiben könnten.
Die Ministerpräsidenten Dick Schoof aus den Niederlanden und Hendrik Wüst (NRW) ließen durchblicken, dass für taktisches Hin- und Herschieben jetzt schlicht keine Zeit mehr sei. Stichwort Dekarbonisierung und Verteidigung: Europa kann gar nicht anders, als sich zu sputen. Gut, dass jemand wie Evonik–Chef Kullmann Klartext spricht: Wasserstoff würde frühestens in Jahrzehnten echte Marktchancen bieten; der Netzausbau schleppend, die CO2-Bepreisung eine bleierne Bürde für die Industrie. Ein anderes Thema, das bei aller Dramatik fast übersehen wird: In den Niederlanden bleibt Kernenergie tabu – mit einigem Nachdruck. Überhaupt, auch außerhalb von Klima und Energie, schien zwischen den Teilnehmenden eine seltene Einigkeit zu herrschen: Die Koordination von Europa, insbesondere auf Kapitalmärkten und im Steuerrecht, läuft schlicht zu langsam. NRW-Finanzminister Optendrenk appelierte eindringlich, endlich Tempo zu machen und Doppelstrukturen zu lösen.
Was die Runde aber positiv hervorhob: Immerhin blieb es nicht bei gegenseitigen Vorwürfen. Wirtschaftssenatorin Mona Neubaur zeigte anhand zirkulärer Halbleiterproduktion in NRW, wie Nachbarn voneinander profitieren können. Sie brachte das Thema Bürgerbeteiligung ins Spiel – klingt nach Floskel, ist in Krisenzeiten aber schnell existenziell: Ohne Rückhalt aus der Bevölkerung wird's keinen Wandel geben, weder im Rentensystem noch im Gesundheitssystem. Für Peter Wennink war indes Ehrlichkeit angesagt – Basischemie und Stahl werden in Europa vermutlich auf absehbare Zeit keine Weltmarktführer mehr, angesichts der Energiepreise. Am Rande: Schülerinnen und Schüler diskutierten eifrig mit, als es um Handel und Innenstädte ging. Interessanterweise wurde diesmal auch viel Wert auf neue, unerwartete Begegnungen gelegt – vielleicht ist genau das die geheime Zutat, wenn Wandel gelingen soll. Das nächste Treffen, heißt es, steht in zwei Jahren an – mit neuer niederländischer Regierung, so die Hoffnung.
Politik und Wirtschaft in Deutschland und den Niederlanden sind sich angesichts multipler Krisen einig: Die Zeit für langsame Abstimmungsrunden ist vorbei. Die beim Forum genannten Themen – schleppender Netzausbau, die schleppende Energiewende und die Dringlichkeit eines funktionierenden europäischen Kapitalmarkts – spiegeln die Energie- und Industriesorgen der gesamten EU. Neueste Medienberichte (z.B. auf Zeit Online und Spiegel) berichten, dass nach den jüngsten EU-Wahlen der Handlungsdruck auf europäischer Ebene nochmals steigt: Die Regierungen müssen neue Industrieförderungen und erhebliche Verteidigungsinvestitionen koordinieren, um wirtschaftliche Schwachstellen zu schließen (Quelle: Die Zeit). Hinzu kommt laut taz.de die Unsicherheit durch politische Umbrüche in den Niederlanden, die die politische Abstimmung mit Deutschland verlangsamen (Quelle: taz). Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, auch durch Digitalisierung, zirkuläre Produktion und Klimaschutzmaßnahmen, ist laut aktuellsten Berichten auf t3n.de und spiegel.de weiterhin das wichtigste Thema für Europa: Ohne mutige Reformen droht den Staaten eine unangenehme Stagnation (Quelle: Spiegel).