Wenn Ironie verboten wird: Komasas Dystopie und der schräge Abgesang auf die Offenheit

Berlin – Der neue Film THE CHANGE kommt in die deutschen Kinos, und Regisseur Jan Komasa spricht im Interview mit Markus Feldenkirchen (Spiegel) über zerbrechliche Demokratien und bizarre Normalitäten unter Oberflächen.

heute 17:23 Uhr | 21 mal gelesen

Ein Jahr nachdem Donald Trump – tatsächlich wieder – Präsident der USA wird, läuft in Deutschland THE CHANGE an. Jan Komasa, der dank "Corpus Christi" längst kein Unbekannter mehr ist, redet bei der Premiere in Berlin über seinen düsteren Film. Und tatsächlich, während draußen an der Kantstraße grauer Niesel vom Himmel tropft, geht es drinnen ans Eingemachte: Was hält westliche Werte eigentlich wirklich zusammen? Komasa ist kein abgehobener Theoretiker. Seine Filme weben das große Politische in kleine, ja intime Szenen ein. Niemals belehrend, eher wie ein verstohlener Blick durchs Schlüsselloch in Familien, die durch die große Politik zerrieben werden. Besonders spannend: Komasa wurde in Polen groß. Ein Land, das die Extreme des 20. Jahrhunderts nicht aus den Knochen bekommt. Unter Stalinismus bedeutete Kirchenbesuch Gefängnisgefahr; unter der PiS fehlten dann plötzlich wieder die Bissspuren der Demokratie. Komasas Misstrauen gegen absolute Wahrheiten versteht sich so von selbst – wachsam geworden durch Geschichte. The Change beginnt bei Familienbildern – harmlose Momente, Jahre nebeneinander, immer dasselbe Lächeln. Aber Komasa dreht an der Stimmungsschraube, lässt das Familienalbum kippen wie ein Wetterumschwung. Jede Feier ein Portiönchen dunkler, mehr Risse. Manchmal irritiert die Struktur: Sprünge, Lücken, scheinbar Vergessenes – so wie bei echten Erinnerungen eben. Berlin kommt ihm wie eine lebendig gewordene Metapher vor, in Ost und West zerrissen, erstarrt im Kalten Krieg und dennoch voller Lebendigkeit. Komasa sagt, Europa habe gelernt, sich vor Ideologien zu hüten – misstrauisch gegen jedes System, wo am Ende "-ismus" steht. In Amerika dagegen dominiert das Selbstverständnis der stabilen Demokratie. Dorthin projiziert Komasa seine Skepsis: "Was, wenn man in dieses uramerikanische System einen Keim des Autoritären setzt?" Seine politische Dystopie ist immer auch Kommentar zur Gegenwart – aber nie so simpel, dass sie auf Trump oder Biden reduziert werden könnte. Das Skript entstand aus einer Begeisterung für Dystopien – und als Seitenhieb auf die Philosophie: Socrates, behauptet Komasa, hielt nichts von Demokratie und hätte, wie sein Film, lieber die Expertokratie. Im Film wächst daraus eine Bewegung, ein kurioser Hybrid aus Kirche, Populismus und Tech-Elite – wie ein Algorithmus, der plötzlich Menschen führen will. Die Hauptfigur (Diane Lane) hält Vorlesungen über Tschechow, Komasas Lieblingsdramatiker, und natürlich gibt es drei Schwestern – eine davon tritt als Stand-up-Comedienne auf und wird, als politischer Humor verpönt wird, mundtot gemacht. Das ist kein fernes Gagfeuer, sondern erinnert schmerzhaft an aktuelle Debatten um Satire und Zensur, nicht nur in Amerika, sondern überall, wo die Gesellschaft ihre Leichtigkeit verliert. "Wenn Menschen keine Witze mehr machen dürfen, ist die Gesellschaft am Ende", meint Komasa. THE CHANGE will weniger Antworten liefern als neue Fragen stellen. Und wie er am Ende schmunzelt meint: "Vielleicht wird mein Visum bald gestrichen... Hätte ich auch nie gedacht, dass Filmemachen mal rebellisch wirkt."

Der Film THE CHANGE ist ein düsterer Blick auf die schleichende Erosion demokratischer Werte in Amerika. Jan Komasa, geprägt von Polens bewegter Vergangenheit, nutzt die Dynamik einer zerbrechenden Professorenfamilie, um die psychologische Verführung durch autoritäre Bewegungen nachzuzeichnen. Zentral bleibt dabei: Wenn Gesellschaften ihre Ironie und ihren Humor verlieren, ist das ein Zeichen drohender Erstarrung und Gefahr – eine These, die Komasa mit den aktuellen politischen Debatten über Satire und Medienfreiheit in USA und Europa verwebt. Weitere aktuelle Informationen aus den letzten 48 Stunden zeigen, dass derzeit weltweit die Diskussionen um Demokratie, autoritäre Tendenzen und Kunstfreiheit hochkochen. Während etwa in Deutschland ein breites Bündnis gegen demokratiefeindliche Kräfte zu Protesten aufruft und Künstler für Zivilcourage stehen, verschärfen sich parallel die Debatten über Cancel Culture und politische Satire auch in Medienlandschaften wie in den USA oder Frankreich. Insgesamt rückt die Frage, wie Gesellschaften mit normativen Grenzüberschreitungen in Humor und Kunst umgehen, verstärkt in den Mittelpunkt – eine Entwicklung, die Komasas THE CHANGE auf fast prophetische Weise vorwegnimmt.

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