Erinnerungskultur im Zwiespalt: Zwischen Pathos und Tatenlosigkeit

Wien – Eine Zeremonie am 1. Dezember ließ die Schatten der Geschichte über Wien wabern: Die sterblichen Überreste der Spiegelgrund-Kinder, Opfer der grausamen NS-Euthanasie, fanden am Zentralfriedhof ihre letzte Ruhe. Vizekanzler Babler und Innenminister Karner verpackten ihr Schweigen in große Worte – „Es ist unsere Pflicht, zu erinnern und zu gedenken.“ Gleichzeitig aber erlebt der Wiener Ethik-Künstler Alois Gmeiner Ernüchterung: Für seine geplante Ausstellung auf der ART-Innsbruck 2025 erntet er von offiziellen Stellen nichts als kalte Abwehr – keine Information, keine Unterstützung.

heute 11:00 Uhr | 18 mal gelesen

Da sitzt man also als Künstler in Wien, arbeitet monatelang an einem Projekt über die Opfer des Spiegelgrund – die von den Nazis im Rahmen medizinischer Barbarei ermordeten Kinder – und wird plötzlich vom offiziellen Österreich wie ein Störenfried behandelt. Alois Gmeiner kennt diese Form der höflich-verpackten Ignoranz, die fast schon österreichische Spezialität ist: Viel Rhetorik, wenig echtes Interesse. Trotz langem Austausch mit der DÖW-Gedenkstätte wurde ihm nicht einmal von der Beisetzung erzählt – dabei hätte gerade sein neues Buchprojekt dies gebraucht. Selbst eine Schenkung eines seiner wichtigsten Werke landet im Orkus – angeblich kein Platz. "Das ist für mich ein Schlag ins Gesicht und ein Skandal", sagt Gmeiner, und man kann ihm den Frust kaum verdenken.

Politiker beklatschen sich bei Veranstaltungen, reden von "Pflicht" und setzen sich fürs Foto in Szene. Die Realität im Alltag ist eine andere: Wer praktisch erinnern oder Aufklärung leisten will, steht allein da – Beharrlichkeit scheint eher als Bedrohung empfunden zu werden, nicht als Notwendigkeit. Gerade das Thema Spiegelgrund ist brisant, unbequem, und will eigentlich niemanden ernsthaft beschäftigen, scheint es. Besonders bitter: Die junge Generation, darunter selbst angehende Mediziner und Erzieher, weiß häufig nichts von diesen Verbrechen. Gmeiners Aktionen auf der ART-Innsbruck bewegen mitreißende 15.000 Besucher, und dennoch erfährt er, der erinnern will, vom offiziellen Österreich wenig mehr als einen höflichen Rüffel und die Bitte, leise zu bleiben.

Der Fall Heinrich Gross – berüchtigter NS-Arzt und später scheinbar unbescholtener Kinderarzt in Klagenfurt – hinterließ Gmeiner in der Jugend bleibende Narben: Dass ein Mensch in unmittelbarer Nähe für den Tod Hunderter Kinder verantwortlich ist und doch fast unbeeindruckt weitermachen darf, schockiert ihn bis heute und motiviert seine künstlerische Arbeit. Mit drastischer Bildsprache, emotionaler Anklage und dem Wunsch, das Vergessen zu bekämpfen, stellt er sich bewusst gegen den österreichischen Hang zum Wegschauen – auch wenn es unbequem wird. "Ich mache weiter. Gerade jetzt. Ganz gleich, wie groß der Widerstand ist", so Gmeiner. Was bleibt zu sagen? Erinnerung ist kein Lippenbekenntnis – und manchmal braucht sie nicht nur Worte, sondern Widerstand.

Die Debatte um Österreichs Umgang mit der NS-Vergangenheit, insbesondere den Euthanasie-Verbrechen am Spiegelgrund, bleibt ein politisch und gesellschaftlich reizbares Thema. Während die offizielle Rhetorik stets Gedenken und Aufarbeitung fordert, zeigt das praktische Handeln gegenüber engagierten Künstlern wie Alois Gmeiner vor allem Distanz und Abwehr. In aktuellen Medienberichten der letzten 48 Stunden lässt sich ablesen: Der gesellschaftliche Diskurs um Erinnerungskultur, staatliche Verantwortung und das Engagement Einzelner bleibt weiterhin geprägt durch ein Spannungsfeld aus öffentlicher Betroffenheit, institutioneller Routine und leisem Widerstand.

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