Europäischer Gerichtshof stoppt teilweise EU-Mindestlohnvorgaben

Der Europäische Gerichtshof hat sich hinter die Klagen Dänemarks und Schwedens gegen Aspekte der EU-Mindestlohnrichtlinie gestellt und zentrale Vorgaben aufgehoben.

heute 10:51 Uhr | 21 mal gelesen

Ein wenig überraschender Paukenschlag aus Luxemburg: Die Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) haben die festen Maßstäbe der Mindestlohnrichtlinie zurückgepfiffen. Länder wie Dänemark und Schweden hatten sich geradezu an ihren Tarifmodellen festgeklammert und wollten keine standardisierten Vorgaben aus Brüssel akzeptieren – zumindest, was die Festsetzung und Anpassung des Mindestlohns betrifft. Besonders heikel schien die Vorschrift, nach der ein Mindestlohn beispielsweise nicht unter einen gesetzlich verankerten Schwellenwert rutschen dürfe, auch wenn eine Indexierung das eigentlich nahelegen würde. Laut Präsident Koen Lenaerts hat die EU mit diesen Detailregeln überzogen – ein Einmischen in die ureigene Hoheit der Mitgliedstaaten. Interessant: Die Rechte der Gewerkschaften bleiben jedoch weitgehend geschützt; nur in jenen Fragen, wo die Richtlinie unmittelbar in die Lohnfindung eingreift, wurden die Vorgaben gekippt. Die eigentliche Mindestlohnrichtlinie bleibt damit in weiten Teilen bestehen. Dänemark, bislang ohne Mindestlohn, verweist gern darauf, dass übergreifende Gewerkschaftsvereinbarungen besser funktionieren als gesetzliche Festschreibungen, zumindest in ihrem Modell. Übrigens: Nach den Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung hätte Deutschland bei einer Orientierung am mittleren Lohn schon letztes Jahr 13,50 Euro zahlen müssen. Wie viel davon übrig bleibt? Das steht nun erstmal wieder in den Sternen.

Mit seinem aktuellen Urteil hat der EuGH für ordentlich Wirbel gesorgt, denn er stärkt mit seiner Entscheidung die Autonomie der Mitgliedstaaten im Bereich Lohnfestsetzung und Tarifautonomie. Vor allem für Länder mit starken Kollektivverhandlungssystemen, wie Dänemark, Schweden oder auch Österreich, birgt das Urteil Rückenwind gegen eine weitere Harmonisierung durch Brüssel – schließlich wird ihnen die Kompetenz belassen, spezifische Modelle selbst zu gestalten. Gleichzeitig bleibt die Richtlinie im Kern erhalten, aber die umstrittenen Detailvorgaben zur Lohnhöhe und Indexierungsmechanismen wurden beiseitegelegt, was wiederum Kritik von Gewerkschaften und Teilen der Politik ausgelöst hat. Darüber hinaus wird die Debatte über einen europäischen Mindestlohn nicht beendet sein – insbesondere weil verschiedene Mitgliedsländer weiterhin sehr unterschiedliche Mindestlohn-Niveaus und Modelle verfolgen. Gewerkschaften und Sozialverbände mahnen, den Sinn der Richtlinie nicht aus den Augen zu verlieren: existenzsichernde Löhne und Schutz vor Lohndumping sind weiterhin das Ziel, auch wenn konkrete Vorgaben nun schwächer sind. Die Unabhängigkeit der Tarifpartner, insbesondere der Gewerkschaften, hat nun Priorität, dennoch beobachten EU-Kommission und andere Institutionen die Entwicklung ganz genau. — Aktuelle Entwicklung aus anderen seriösen Quellen — 1. Ein Artikel auf FAZ.net analysiert die Implikationen des EuGH-Urteils für das europäische Sozialmodell: Der Richterspruch stößt zwar auf Erleichterung in Skandinavien, sorgt aber für neue Diskussionen in der deutschen und französischen Politik, die sich eine stärkere soziale Regulierung erhofft hatten. Besonders angesprochen wird, wie flexibel die EU nun auf nationale Besonderheiten eingehen muss. (Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung) 2. Deutschland.de beleuchtet die Reaktionen deutscher Gewerkschaften und die politische Debatte: Die Bundesregierung äußert teilweise Verständnis für das Urteil, doch Gewerkschaften sehen die Gefahr, dass der Mindestlohn stärker durch politischen Willen und weniger durch klare soziale Kriterien geprägt wird. Gleichzeitig bleibt offen, ob das Urteil längerfristig neue Initiativen aus Brüssel verhindern oder eher befördern wird. (Quelle: Deutschland.de) 3. Die Süddeutsche Zeitung stellt eine Übersicht zur Zukunft des Mindestlohns in Europa zusammen: Insbesondere in Osteuropa und Südeuropa bleibt das Thema brisant, weil niedrige Lohnstandards und hohe Inflation die Debatte weiter anheizen. Der Fokus liegt nun auf nationalen Strategien – ergänzt durch Dialog zwischen den Sozialpartnern, anstatt auf zentrale europäische Vorgaben. (Quelle: Süddeutsche Zeitung)

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