Pellmann mahnt mehr Offenheit beim Gesundheitsrisiko im Politikbetrieb an

Nach seinem Herzinfarkt spricht der Linken-Fraktionschef Sören Pellmann offen über die Gefahren von Stress und Überlastung im Politikalltag – und wünscht sich von seinen Kolleginnen und Kollegen einen ehrlicheren Umgang mit Krankheit und Schwäche.

heute 17:21 Uhr | 119 mal gelesen

Kaum jemand in der Politik redet freiwillig über eigene gesundheitliche Probleme – schon gar nicht, wenn es um Schwächen oder gar Süchte geht. Sören Pellmann kennt das aus erster Hand: Im Juli, nach einem anstrengenden Tag mit Fraktionssitzungen in NRW, spürte er plötzlich diesen seltsamen Druck in der Brust. Sein Herz raste, die Smartwatch schlug Alarm: Puls 159. Im Krankenhaus ging dann alles rasend schnell – keine Stunde nach der Einlieferung lag er bereits auf dem OP-Tisch, bekam per Katheter einen Stent gesetzt. Heute zögert Pellmann nicht, das offen zu erzählen. 'Wäre ich nicht so aufmerksam gewesen, hätte ich vermutlich nicht mehr aufgewacht.' Er erzählt das nicht, um zu schockieren, sondern weil er findet, dass in der politischen Szene öfter mal so getan wird, als seien Menschen in Machtpositionen unverwundbar. Dabei, so Pellmann, wird viel geschwiegen – auch was Suchterkrankungen, etwa durch den ständigen Alkohol bei Empfängen oder die Hektik im Alltag angeht. 'Allein das Gefühl, nie abschalten zu können – mit Social Media im Nacken – lässt einen irgendwann nicht mehr atmen.' Dass er 22 Kilogramm abgenommen und seinen Lebensstil umgekrempelt hat, sei dabei fast ein Nebenschauplatz. Nicht nur Pellmann, auch andere bekannte Politiker wie etwa Kevin Kühnert ziehen sich wegen gesundheitlicher Gründe zurück. Pellmann sieht kein Wunder in den zahlreichen Rücktritten – zu ungesund seien die Lebensumstände: schnelle Mahlzeiten, ein Termin jagt den nächsten, Pausen fast nie – und dann noch der subtile Gruppendruck: Wer bei Veranstaltungen keinen Alkohol trinkt, gilt schon mal rasch als Sonderling. Pellmann spricht von einer hohen Dunkelziffer an Politikern mit Suchterkrankungen und ist überzeugt, dass offeneres Reden über solche Probleme eher Zuspruch als Spott auslöst. 'Im Ernst: Die meisten waren dankbar und neugierig, wollten Abnehmtipps oder einfach nur Genesungswünsche dalassen.'

Pellmann schildert sehr persönlich die gesundheitlichen Belastungen, die mit politischem Engagement einhergehen, und bricht damit mit dem Tabu, über Schwäche oder Krankheit im politischen Alltag zu sprechen. Er kritisiert die permanente Überarbeitung, den medialen Dauerstress und vor allem die oft bagatellisierte Rolle von Alkohol bei politischen Anlässen – all das könne massive gesundheitliche Folgen haben, was viele Mandatsträger aus Angst vor Karriereeinbußen verschweigen. Sein Plädoyer: Mehr Ehrlichkeit und Verständnis, sowohl im Umgang miteinander als auch mit sich selbst – auch, weil Pellmann überzeugt ist, dass Krankheit kein Zeichen von Schwäche sein muss. Recherchen in aktuellen Medienberichten belegen, dass psychische und physische Belastungen in der Politik zuletzt immer häufiger Thema wurden. Die Süddeutsche Zeitung berichtet ganz aktuell über den wachsenden Rücktrittsdruck aus gesundheitlichen oder familiären Gründen bei verschiedenen Politiker:innen und verweist auf eine zunehmende Sensibilisierung für mentale Gesundheit im Bundestag. Auch Spiegel Online hebt hervor, dass Stress, ständige Erreichbarkeit und hohe Termindichte weiterhin drängende Probleme bleiben, die zu Burnout, Depression oder körperlichem Zusammenbruch führen können. Die Zeit analysiert unterdessen neue Initiativen, die Selbstfürsorge und Resilienz stärken sollen, kritisiert aber die mangelnde institutionelle Unterstützung für Abgeordnete in extrem belastenden Phasen. Insgesamt zeichnet sich also ab: Der offene Umgang mit Schwäche und Überforderung im Politikbetrieb ist längst überfällig, erste zaghafte Veränderungen sind aber zu beobachten.

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