Wenn man mal ehrlich ist, hat niemand die Entwicklung wirklich kommen sehen – oder vielleicht doch, aber weggeschaut. Die Abhängigkeit Europas von China hinsichtlich essenzieller Medikamente ist nicht von ungefähr entstanden. Eine neue Analyse im Auftrag von Pro Generika, auf die sich die Süddeutsche Zeitung stützt, zeigt: Die strategische Rolle Chinas im Arzneimittelmarkt ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer langfristigen, klug kalkulierten Politik. Schon jetzt warnen Experten, dass geopolitische Turbulenzen oder Exportrestriktionen in China rasch zu akuten Versorgungsengpässen führen könnten. Oder, um Andreas Burkhardt, Chef von Pro Generika, zu zitieren: „Wir sitzen zu tief in der Falle. Dadurch sind wir politisch erpressbar.“
Es ist nicht so, als würde China einfach nur Nachmachen. Die Forscher betonen, dass die chinesische Pharmaindustrie technologisch längst eigene Wege geht – und was Innovation und Patente angeht, ist man inzwischen längst an der Weltspitze angekommen. Ko-Autorin Jasmina Kirchhoff vom Institut der deutschen Wirtschaft sieht einen klaren Trend: Nicht nur bei Generika, sondern nun auch bei biotechnologischen Wirkstoffen (Biosimilars) holt China auf.
Am meisten überraschen dürfte wohl der Grad der Abhängigkeit in den vorgelagerten Produktionsstufen, etwa bei Grundsubstanzen wie Alkaloiden für Schmerzmittel. Gesundheitsökonom David Francas bringt es auf den Punkt: „Geht man die Lieferkette Schritt für Schritt zurück, bleibt am Ende fast ausschließlich China als Lieferant übrig.“ Am Beispiel Metformin – das ist hierzulande eines der wichtigsten Mittel gegen Diabetes – sieht man, wie drastisch die Lage ist.
Europäische Pharmaunternehmen sind in den letzten Jahren zunehmend auf Importe aus China angewiesen, vor allem bei sogenannten Generika und deren Grundstoffen. Die aktuelle Studie deutet darauf hin, dass diese Entwicklung kein Zufall ist, sondern auf gezielte industriepolitische Strategien Chinas zurückgeht, die mit Innovation und Patenten ihr Marktwachstum untermauern. Neben den bekannten Risiken wie Versorgungsengpässen bei politischen Konflikten betonen Experten, dass die Verwundbarkeit besonders im Bereich der Vorprodukte – etwa bei Alkaloiden für Schmerzmittel – extrem hoch ist. Neuere Nachrichtenquellen unterstreichen, dass die EU-Kommission derzeit eilig an Strategien zur Stärkung der eigenen Arzneimittelproduktion arbeitet und Förderprogramme initiiert, um diese Abhängigkeit zu mindern. Unabhängig davon bleibt die Frage offen, in welchem Tempo Europa eine eigenständigere Versorgung sicherstellen kann, gerade angesichts des wachsenden Kostendrucks und der sehr weit nach China ausgelagerten Lieferketten. Es werden inzwischen sogar Debatten laut, ob die Medikamentenpreise in Europa künstlich niedrig gehalten werden und so den Anreiz für lokale Produktion schwächen.