Volkstrauertag: Ein Gedenktag zwischen Erinnerung und aktueller Mahnung

Kassel – Über hundert Jahre existiert der Volkstrauertag bereits. Früher hätte man ihn für ein abgelegtes historisches Ritual gehalten, doch spätestens seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine 2022 erscheint er bedrückend gegenwärtig.

heute 12:23 Uhr | 22 mal gelesen

Zum vierten Mal gedenken wir heute nicht nur der Opfer vergangener, sondern auch aktueller Kriege.

Der Volkstrauertag blickt auf den 5. März 1922 als seinen Ursprung zurück. Damals fand er noch – vielleicht für manche überraschend – im Frühjahr statt, nicht wie heute im November im Reigen der stillen Feiertage. Die Zeitzeugen damals hatten ganz andere Gedanken im Kopf: Wie sollte man mit dem enormen Verlust, der Ungewissheit umgehen? Wo finden Menschen ihre Toten? Wie trauert ein Land gemeinsam?

Ein Akt der Solidarität – Statt Monument, ein Tag des Gedenkens

Es war der frisch gegründete Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der vorschlug, dem Schmerz der Angehörigen Raum zu geben. Keine Steinsäule sollte es richten, sondern ein Tag – einer, der alle, auch die nicht direkt Betroffenen, an den gemeinsamen Verlust erinnerte. Schon 1921 hatte man sich hingesetzt und beraten, wie so ein Tag aussehen könnte. Man entschied sich letztlich gegen ein prunkvolles Ehrenmal – es ging vielmehr um einen Moment kollektiver Einkehr, losgelöst von der Kirche, aber im Geist der Erneuerung.

Frühling als Hoffnungsträger – und dann kam November

Die Symbolik war klar: Ein Neuanfang nach dem Winter, nach der Zerstörung. Ein Tag, der auch die Möglichkeit eröffnete, nach vorne zu schauen. Die allererste Gedenkstunde, 1922 im Berliner Reichstag, spiegelte all das. Die berühmte Rede des damaligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe plädierte für das, was heute, beinahe rührend, so dringend wirkt: Versöhnung statt Hass, Mitleid statt nationalem Pathos.

Es gab allerdings schon früh Stimmen, die Bedenken anmeldeten. Gerade aus dem Umfeld der Arbeiterschaft und der Gewerkschaften befürchtete man, der Tag könnte zum nationalistischen Spektakel verkommen – und, leider, sie sollten Recht behalten. In den Jahren nach ihrer Warnung wurde der Volkstrauertag verstärkt von martialischer Symbolik und politischer Aufladung durchdrungen.

Zerfall und Vereinnahmung – der Tag im Dritten Reich

Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 schlug die Geschichte einen düsteren Haken. Aus dem stillen Gedenken wurde ein „Heldengedenktag“, aus Trauer wurde Inszenierung. Fahnen wurden jetzt demonstrativ voll gehisst. Der NS-Staat bestimmte, was zu sehen und zu hören war – bis zum bitteren Ende. Goebbels notierte in seine Tagebücher, echtes Trauern passe nicht ins Bild des Regimes.

Ein neuer Anfang – Volkstrauertag und die Bundesrepublik

Nach dem Krieg wurde der Gedenktag von demokratischen Kräften wiederbelebt, fortan am vorletzten Sonntag vor dem ersten Advent. Diesmal aber zogen Regierung und Glaubensgemeinschaften gemeinsam an einem Strang. 1950 fand eine erste bundesweite Gedenkstunde im Bundestag statt. Über die Jahrzehnte hat sich das Gedenken weiter verändert: Heute ist es weit mehr als ein Erinnern an Soldaten – es nimmt alle Opfer von Krieg und Gewalt in den Blick.

Merkwürdig ist, wie aktuell dieser rückwärtsgewandte Tag Jahr für Jahr geworden ist. Während draußen Novembernebel an die Scheiben klopft, steht man drinnen – und merkt: Die alten Themen, sie sind nie ganz fort gewesen.

Pressekontakt:
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Diane Tempel-Bornett
+49561-7009-139
presse@volksbund.de

Originalmeldung

Der Volkstrauertag wurde 1922 unter dem Eindruck der enormen menschlichen Verluste des Ersten Weltkriegs ins Leben gerufen – zunächst als Tag des gemeinsamen Gedenkens und der Solidarität. Während der NS-Zeit missbrauchte das Regime das Datum für nationalistische Märsche und machte aus dem Gedenktag ein politisches Werkzeug; nach dem Krieg wurde der Tag demokratisch neu interpretiert und auf den November gelegt. Heute steht er für ein breiteres Verständnis von Trauer und Mahnung: Er erinnert nicht mehr nur an gefallene Soldaten, sondern nimmt alle Opfer von Gewalt und Krieg weltweit in den Blick. Zusätzliche aktuelle Stimmen betonen, dass mit dem Krieg in der Ukraine und anderen Konflikten die Auseinandersetzung mit den Folgen von Krieg auch für die heutige Gesellschaft direkte Bedeutung hat. Viele Gemeinden und der Bund organisieren Gedenkveranstaltungen, die Wert auf Versöhnung legen und aufzeigen, wie wichtig friedliches und solidarisches Handeln weiterhin ist. Interessanterweise gibt es in jüngeren Debatten auch Stimmen, die fordern, stärker auf individuellen Schmerz und kollektive Verantwortung einzugehen, die Gedenkkultur also zu erneuern und persönliche Geschichten stärker einzubinden.

Schlagwort aus diesem Artikel