In einem Interview mit dem 'Spiegel' kommt Herbert Diess, der mittlerweile nicht mehr ganz so junge, aber durchaus noch meinungsstarke Ex-VW-Chef, geradezu ins Schwärmen: Wenn man es klug anstellt, könnten die Akkus der etwa zwei Millionen E-Autos in Deutschland einen ziemlich großen Brocken des überschüssigen Sonnenstroms aufnehmen und später, etwa nachts, wieder zur Verfügung stellen. Klingt fast wie ein Perpetuum mobile, aber eben nur fast. Schließlich vermutet Diess, dass schon bald das sogenannte bidirektionale Laden (also Strom speichern und wieder abgeben, je nach Bedarf) kommerziell Alltag werden könnte – und dadurch erneuerbare Energien einen echten Schub bekämen. All das, meint er jedenfalls, ginge ohne immense Investitionen in Netzausbau oder neue Kraftwerke.
Als netten Nebeneffekt verweist Diess auf französische Erfahrungen: Wer sein Auto als Teil des Netzes einspannt, könnte tatsächlich kaum noch etwas für den Ladestrom zahlen. In Deutschland steht allerdings aktuell die Gesetzeslage noch im Weg – mit jedem Stromhin-und-her fällt ein Netzentgelt an. Immerhin: Das Parlament will diesen Hemmschuh ab 2026 loswerden.
Diess, bekannt für klaren Klartext, teilt auch kräftig gegen die bislang sehr kleinteilige Struktur der deutschen Netzbetreiber aus. Während in Frankreich der Staat recht zügig und zentral organisiert, herrsche hierzulande 'Steinzeit' – 866 lokale Betreiber, die sich gegenseitig auf die Füße treten. Ein System, das laut Diess dringend überarbeitet werden müsste.
Zur Debatte um das mögliche EU-Verbrenner-Aus äußert er eine typisch deutsche Neigung zum Dauergrübeln: Das Rennen um die Antriebsformen sei längst entschieden, vielleicht solle man sich lieber darauf konzentrieren, den E-Auto-Boom mitzunehmen, anstatt über längst gefallene Entscheidungen zu debattieren.
Diess selbst bleibt übrigens dem Thema treu: Heute sitzt er unter anderem bei Infineon und bei The Mobility House im Aufsichtsrat – letzteres Unternehmen hat schon Partnerschaften mit Renault und Mercedes, um genau dieses bidirektionale Laden auf den Weg zu bringen – und vielleicht die Stromrechnung tatsächlich irgendwann fast verschwinden zu lassen.
Herbert Diess zeigt sich überzeugt, dass E-Autos eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des Stromnetzes spielen können und in naher Zukunft auch finanziell sehr attraktiv für Autohalter werden. Er kritisiert die zersplitterte Infrastruktur und fordert eine Reform nach französischem Vorbild, um Innovationen zu erleichtern. Seit dem Bundestagsbeschluss im November 2023 ist zudem der Weg für einfachere Nutzung ab 2026 frei, was den deutschen Markt für das Zusammenspiel von E-Mobilität und erneuerbaren Energien attraktiver machen wird.
Zusätzliche Recherchen zeigen: Die Bundesregierung plant gezielte Förderungen für bidirektionales Laden, um erneuerbare Energien noch besser zu integrieren. Stromkonzerne wie EnBW und E.ON experimentieren mit Pilotprojekten, bei denen FahrerInnen Geld verdienen können, wenn sie überschüssigen Strom ins Netz zurückspeisen. Gleichzeitig warnen Fachleute, dass Netzkapazitäten und Kommunikationsstandards dringend weiterentwickelt werden müssen, damit das Versprechen vom kostenlosen Laden mit Eigen-Strom nicht zum Technik- oder Bürokratietrick verkommt.