Richard David Precht sieht Cancel Culture als Gefahr für offenen Diskurs

Beim Gespräch im "DUP Business Talk" warnt der Philosoph Richard David Precht davor, wie Angst vor Empörung und Selbstzensur das gesellschaftliche Klima fesseln. In seinem neuen Buch "Angststillstand" analysiert er, warum Debattenkultur stagniert und Populismus profitiert.

16.10.25 12:35 Uhr | 31 mal gelesen

Es ist irgendwie bemerkenswert, wie still es an manchen Stellen in unserer Gesellschaft geworden ist – obwohl doch alle von Vielfalt reden. Richard David Precht beschreibt das im Podcast ziemlich treffend: Verlage, Redaktionen, Museen, sie alle sorgen sich vor dem nächsten großen Aufschrei. Also wird vorauseilend zensiert, abgemildert, ohne dass überhaupt ein Gesetz droht. "Die eigentliche Knebelung lauert in der Angst vor Empörung", sagt er. Wer "abweicht", riskiert schnelle Ausgrenzung – das stiftet Trotz, geradezu eine Gegenbewegung. Die viel zitierte Mitte hechelt mit, anstatt Orientierung zu bieten. So werden die Populisten gestärkt, weil sie das Versprochene liefern: Tabubrüche und Unangepasstes, ganz unabhängig davon, wie diffus diese Angebote manchmal sind. Precht sieht Verantwortung vor allem bei den Menschen in leitenden Positionen: Chefredakteure, Intendantinnen, Verlagsleitungen – sie müssten Rückgrat zeigen, Mut fördern und klar signalisieren, dass auch streitbare Positionen ihren Platz haben. Ohne Streikultur keine Demokratie, sagen viele – und Precht findet, dass wir genau das gerade aus den Augen verlieren: Zu viel Moral, zu wenig Belastbarkeit. Und mit jedem, der heute geächtet wird, wächst das Risiko, morgen autoritäre Kräfte an die Macht zu bringen. Das komplette Interview gibt’s übrigens auf Spotify, YouTube oder Podigee. Vielleicht lohnt sich das Reinhören, gerade jetzt.

Precht beschreibt in seinem neuen Buch und im Podcast, wie Angst vor öffentlicher Empörung dazu führt, dass Institutionen lieber zu vorsichtig agieren, als offene Debatten zuzulassen. Dadurch werden Gegenstimmen oft ausgeschlossen, was wiederum rechtspopulistische Strömungen stärkt, die Tabubrüche versprechen und damit das Bedürfnis nach unkomplizierten Antworten bedienen. Precht fordert stattdessen, dass Entscheidungsträger wieder mehr Mut zeigen und dazu beitragen, eine belastbare Streitkultur zu etablieren – denn Kontroverse gehöre zur Demokratie einfach dazu. Laut aktuellen Artikeln in deutschen Medien mehren sich die Stimmen, die eine Verengung des Diskurses durch sogenannte "Cancel Culture" kritisieren. Sie sehen darin nicht nur einen Stillstand im gesellschaftlichen Dialog, sondern auch eine Gefahr für demokratische Grundwerte. Einige Beiträge weisen zudem darauf hin, dass der Umgang mit kontroversen Themen differenzierter und weniger moralisch aufgeladen geführt werden sollte. Laut einem Artikel auf "Zeit Online" beobachten Sozialwissenschaftler, dass gerade junge Menschen ein ambivalentes Verhältnis zu Meinungsfreiheit entwickeln, da sie sich häufig unsicher fühlen, was sagbar ist. Die "FAZ" hebt hervor, dass Cancel Culture gesellschaftliche Spaltung oft eher verstärkt, als die Debatte tatsächlich zu bereichern. Und auf "Spiegel Online" wird diskutiert, ob die Empörungskultur langfristig politische Extreme befeuert, weil wichtige Streitpunkte nicht offen ausgetragen werden.

Schwerpunkte anderer Leitmedien zu diesem Thema

Ein längerer Beitrag auf Zeit Online schildert, wie der Diskurs in Deutschland immer stärker polarisiert wird; Wissenschaftler und Politiker debattieren darüber, wie weit Meinungsfreiheit gehen darf und ob 'Cancel Culture' tatsächlich einen wesentlichen Einfluss auf politische Prozesse ausübt. Gleichzeitig werden Stimmen lauter, die fordern, unbequeme Debatten mehr zuzulassen, um das demokratische Miteinander zu stärken (Quelle: Zeit Online).

Die FAZ analysiert in einer groß angelegten Reportage die Auswirkungen von Empörungskultur und Cancel-Kampagnen auf Kulturschaffende; es zeigt sich, dass insbesondere Künstler und Intellektuelle immer häufiger Selbstzensur betreiben, während die politische Mitte verunsichert ist, wie sie mit den lauter werdenden Extremen umgehen soll (Quelle: FAZ).

In einem Hintergrundbericht von Spiegel Online werden mehrere Fälle beschrieben, in denen zensierte oder ausgeladene Stimmen direkt ins Lager rechtspopulistischer Gruppierungen abwandern; dabei wird die These aufgestellt, dass übertriebene Moralisierung im Diskurs ungewollt zum Erstarken extremistischer Parteien beitragen kann (Quelle: Spiegel Online).

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