Stoltenbergs Eingeständnis: Schattenseiten der Russlandkritik

Jens Stoltenberg, ehemaliger Nato-Generalsekretär, gesteht öffentlich Fehler in seinem Umgang mit der Kritik an Russland ein – und blickt überraschend selbstkritisch zurück.

16.10.25 21:22 Uhr | 56 mal gelesen

Das klingt ungewohnt für einen Mann, der jahrelang mitten im transatlantischen Sturm gestanden hat: Jens Stoltenberg, heute norwegischer Finanzminister, blickt in seinen Memoiren („Auf meinem Posten“, erschienen beim Siedler-Verlag) zurück und räumt ein, in Sachen Russland längst nicht alles richtig bewertet zu haben. Damals, 2014, als er neu in Brüssel war, schwappte eine Welle der Empörung durch Politik und Medien. Im Zentrum: Russische Kampfflugzeuge, die ohne Transponder im Ostseeraum unterwegs waren – ein Verhalten, das als besonders gefährlich gebrandmarkt wurde. Transponder, diese kleinen Geräte, deren Bedeutung für die Flugsicherheit wohl seitdem kein Zeitungsleser mehr vergisst. Mit der Zeit kam ans Licht – und zwar durch eine Recherche des „Spiegel“ – dass auch Nato-Jets ihre Transponder manchmal abschalteten. Stoltenbergs Reaktion wirkt fast schon menschlich: In Brüssel habe ihm, sagt er, niemand von solchen Praktiken erzählt. "Was die Russen anging, war es anscheinend in Ordnung, mit grobem Strich zu argumentieren", gibt er zu. Interessanterweise betont Stoltenberg, dass seine Erfahrungen mit Putin vor 2014 durchaus solide gewesen seien. Nach dem Umzug nach Brüssel jedoch bemerkte er einen fühlbaren Unterschied im Umgangston: Das, was vom Nato-Hauptquartier gegenüber Russland vertreten wurde, habe spürbar von der Atmosphäre und Praxis seiner früheren politischen Heimat Oslo abgewichen. Und ja – die Diskrepanz war größer, als er selbst erwartet hatte. Kurios, wie ein neuer Arbeitsplatz selbst die Sicht auf alte Bekannte mitunter auf den Kopf stellt.

Jens Stoltenberg gibt in seinen Memoiren zu, bei der anfänglichen Kritik an russischen Militärflügen im Ostseeraum voreilig gehandelt zu haben, weil ihm relevante Informationen – etwa das auch Nato-Kampfflugzeuge zeitweise ohne eingeschaltete Transponder flogen – verborgen blieben. Sein Umgang mit Russland wandelte sich mit dem Wechsel vom norwegischen Regierungssitz ins Nato-Hauptquartier merklich, wie er reflektiert: Der neue Kontext führte zu einer distanzierteren und pauschaleren Wahrnehmung Moskaus. In aktuellen Debatten, so analysieren Beobachter, wird zunehmend die Bedeutung differenzierter Analysen internationaler Militärpraktiken hervorgehoben; zudem wird die Gefahr einseitiger Narrative für die diplomatische Vertrauensbildung am Beispiel Stoltenbergs deutlich. Weitere aktuelle Details: Der NATO-Gipfel 2024 diskutierte in Washington erneut die militärische Lage und Strategie gegenüber Russland, wobei Transparenz und interne Fehlerkultur im Bündnis stärker in den Fokus rückten. Nach der Veröffentlichung von Stoltenbergs Buch kommentieren verschiedenste Stimmen, wie schwierig Differenzierung und Selbstkritik im politischen Alltagsdruck tatsächlich sind und dass offene Irrtumseingeständnisse noch immer Seltenheitswert besitzen. Auch wird die Debatte um die noch immer angespannte Lage im Ostseeraum durch die neuen Enthüllungen und Selbstkritik Stoltenbergs nun mit nuancierteren Tönen geführt.

Schlagwort aus diesem Artikel