„Ehrlich gesagt – ich hatte keinen Plan B.“ Mit ungewöhnlicher Offenheit blickt Rolf Mützenich, einstiger Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, auf seine Haltung vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine zurück. Damals, Anfang 2022, hatte er dafür plädiert, Russland in die europäische Sicherheitsordnung einzubinden – wohl gemerkt: langfristig, wie er heute betont. Dennoch räumt er heute ein, nicht ausreichend durchgespielt zu haben, was geschehen könnte, wenn diese Einbindung misslingen würde.
Auch beim nordischen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 – ein permanenter Zankapfel der europäischen Energiepolitik – übt Mützenich Selbstkritik. Er sagt: Fehler seien gemacht worden, und zwar nicht zuletzt aus Eigeninteresse. Das billige russische Gas habe der deutschen Wirtschaft genutzt, aber wie soll man unter kapitalistischen Bedingungen derartige Widersprüche lösen? Eine rhetorische Frage, denn eine einfache Antwort gibt es darauf nicht.
Trotzdem bleibt er skeptisch, ob der reflexhafte Ruf nach Aufrüstung und Abschreckung immer weiterhelfe. Die Vorstellung, Außenpolitik müsse auch Räume für Diplomatie, Austausch und friedlichen Wandel offenhalten, bleibt für ihn zentral – trotz aller Zweifel, die nach Kriegsbeginn über alte Gewissheiten hinweggefegt wurden. Menschlich verständlich: Wer will schon zugeben, blind gewesen zu sein? Aber immerhin tut Mützenich es jetzt laut und deutlich.
Rolf Mützenich gesteht ein, dass die SPD-Politik gegenüber Russland – und auch seine eigene Haltung – in der Vergangenheit zu wenig Plan B vorgesehen hat, insbesondere im Vorfeld des Angriffskrieges auf die Ukraine. Selbstkritisch thematisierte er im Spiegel, dass wirtschaftliche Interessen rund um Nord Stream 2 federführend waren, die Risiken aber unterschätzt wurden. Dass wirtschaftliche, politische und ethische Widersprüche in der deutschen Russlandpolitik bisher nicht ausreichend gelöst wurden, gibt Mützenich dabei offen zu.
Aktuelle Stimmen aus Politik und Gesellschaft tendieren zu einer stärkeren Selbstreflexion auf vergangene Fehleinschätzungen in der russlandfreundlichen Energiepolitik. Seit der Eskalation des Ukraine-Konfliktes ist die Diskussion um die Richtungsänderung der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik zunehmend von der Suche nach neuen Allianzen, Sicherheitskonzepten und Unabhängigkeit von autoritären Energielieferanten geprägt. Außerdem mehren sich Forderungen nach einer grundsätzlichen Überarbeitung des außenpolitischen Kurses der SPD – insbesondere durch eine offenere Fehlerkultur und eine kritischere Auseinandersetzung mit den Folgen vergangener, manchmal naiver Annahmen.