Es ist schon irgendwie ironisch: Im trüben Dezember 2025 klettert ausgerechnet ein französischer Roman aus dem vergangenen Jahrhundert auf den ersten Platz der SWR Bestenliste. "Chéri" von Sidonie-Gabrielle Colette – ein zartbitteres Buch, voller subtiler Gedanken zur Liebe, zum Älterwerden und zur Leichtigkeit des Pariser Lebens um 1900. Chéri, mit seinen 24 Jahren ein Musterbeispiel für Jugend, Müßiggang und dekadente Schönheit, trifft Léa, die erfahrene, genussfreudige Frau, die ihm in jeder Hinsicht ebenbürtig, manchmal sogar voraus ist. Ihre Affäre ist ein Tanz auf Messers Schneide: Verlangen, Zurückhaltung, kleine Gemeinheiten – alles, was das Spiel zwischen Generationen so spannend macht. Ob das Buch nach all den Jahren noch immer provoziert? Möglich. Jedenfalls hat die Jury, ganz gegen den Strom der Verkaufszahlen, Colette nach oben gewählt. Apropos Jury: 30 Literaturkritikerinnen und -kritiker stimmen Monat für Monat über ihre Favoriten ab – ihr Urteil bleibt unabhängig, ihre Auswahl überraschend. Platz zwei geht diesen Dezember übrigens an Hanif Kureishis "Als meine Welt zerbrach", während "Happily" von Sabrina Orah Mark Platz drei sichert. Wer mehr wissen oder reinhören mag: Im SWR Kultur Radio diskutieren die Juroren die frisch gekürten Bücher – und nebenbei lernt man vielleicht, alte Romane wieder mit anderen Augen zu lesen. Übrigens gibt es die vollständige Bestenliste und viel mehr Lesetipps auf swr.de/bestenliste.
Colette hat mit "Chéri" einmal mehr einen Nerv getroffen, gerade weil die Zeitlosigkeit der Beziehung zwischen Chéri und Léa allen Moden trotzt. Die SWR Bestenliste funktioniert nach einem wohltuend unabhängigen Prinzip: Nicht Verkaufsranglisten, sondern ein wechselndes Gremium bestimmter Literaturkritiker und -kritikerinnen bestimmen, was sie für herausragend halten. Abgesehen von Colette stehen im Dezember 2025 weitere Titel wie Hanif Kureishis bewegender Roman und Sabrina Orah Marks Erzählungen im Mittelpunkt – eine Einladung, jenseits des Mainstreams zu stöbern. Insbesondere die Rückkehr klassischer Literatur ins Rampenlicht – nicht allein aus Nostalgiegründen, sondern wegen verblüffender Aktualität – spiegelt sich derzeit auch international: Etwa im Interesse an diversen Neuübersetzungen und in der Diskussion um Genderrollen, die "Chéri" durchaus auf den Kopf stellt. Darüber hinaus finden literarische Bestenlisten im deutschsprachigen Raum weiter große Resonanz, wie jüngst auch Berichte der "FAZ“, „Süddeutschen Zeitung" oder im "Spiegel" zeigen: Bücherlisten regen oft Debatten zum Leserverhalten und zur Rolle der Literatur für aktuelle Gesellschaftsthemen an.