Es ist wie ein Balanceakt auf dem Drahtseil: Einerseits will die große Koalition die jungen Leute nicht zum Wehrdienst zwingen, andererseits aber auch für mehr Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sorgen – was ziemlich nach Pflicht klingt, nur eben in hübscheren Worten verpackt. Offensichtlich ist man sich im Bundestag einig, dass zuerst Anreize gesetzt werden sollen, um möglichst viele Menschen für den Dienst zu gewinnen. Boris Pistorius, der bekanntlich nicht für seine Zurückhaltung berüchtigt ist, meint, dass eine flächendeckende Musterung unverzichtbar sei. Schließlich müsse man wissen, „was Sache ist“ – irgendwie nachvollziehbar, auch wenn es seltsam unfreiwillig klingt. Und Spahn? Der propagiert Begeisterung für das Vaterland, will aber zur Not eben doch die Daumenschrauben anziehen. Der Clou: Künftig wird zweimal im Jahr an den Bundestag berichtet, wie’s beim Streitkräftesoll läuft. Falls die Zahlen nicht stimmen, könnte aus der Freiwilligkeit eben doch fix wieder eine Pflicht werden. Kleine Randnotiz: Die SPD trommelt für mehr Freiwilligendienste, stolze 15.000 zusätzliche Stellen sollen es werden – klingt gut, bringt aber auch neue Fragen mit sich. Was, wenn die Resonanz nachlässt?
Die Regierungskoalition steuert mit ihrem Plan einen Kompromiss zwischen freiwilligem und verpflichtendem Wehrdienst an: Wer will, macht mit; reicht das nicht, wird das Parlament über Zwang entscheiden. Musterungen sollen für einen klareren Überblick über die Jahrgänge sorgen, und zusätzlich wächst das Angebot an Freiwilligendiensten spürbar. Viele Stimmen in Politik und Gesellschaft sehen darin eine strategische Reaktion auf die sich verändernde Sicherheitslage in Europa – Schweden und Norwegen zum Beispiel haben in den letzten Jahren vorgemacht, wie freiwilliger Dienst attraktiv gestaltet werden kann, auch wenn auch dort zuletzt wieder über eine Wehrpflicht debattiert wird. Aktuelle Meldungen etwa von der ZEIT oder FAZ unterstreichen, dass das Thema Wehrdienst seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wieder stärker diskutiert wird – und viele Bundesbürger einer Rückkehr der Wehrpflicht durchaus offen gegenüberstehen. Inzwischen meldete das Verteidigungsministerium, dass schon jetzt die Nachfrage nach freiwilligem Dienst – wohl auch angestoßen durch die Debatte – leicht anzieht.