Deniz Yücel, einst selbst in der Türkei inhaftiert, wünscht sich, dass Friedrich Merz angesichts fortgesetzter Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit in der Türkei nicht um den heißen Brei herumredet. "Merz muss schon klipp und klar ansprechen, was das Regime Erdogan alles wegdrückt", sagt Yücel offen, beinahe etwas entnervt. An Journalisten, so Yücel, werde oftmals ein Exempel statuiert – Inhaftierungen und Hausarreste seien wieder an der Tagesordnung. Dazu komme die anhaltende Verfolgung der demokratischen Opposition, die das politische Klima weiter vergiftet.
Yücel selbst wurde 2017 in der Türkei festgenommen – ausgerechnet als Korrespondent für die "Welt" – und saß ein Jahr lang in Untersuchungshaft wegen angeblicher "Terrorpropaganda". „Merz steht in der gleichen Zwickmühle wie viele Politiker vor ihm: Der Draht zur Türkei darf nicht ganz abreißen, aber allzu große Nähe wäre eine politische Hypothek", räumt Yücel nachdenklich ein. Besonders kritisch sieht er, dass die aktuellen wie früheren deutschen Regierungen die Türkei häufig aus sicherheitspolitischer Sicht bewerten und über Menschenrechte großzügig hinwegsehen. Auch die Auswirkungen eines zunehmend radikalisierten Erdogan-Regimes auf die Menschen türkischer Herkunft in Deutschland werden seiner Ansicht nach unterschätzt.
Übrigens teilt auch Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, diese Sorge: Er fordert, bei offiziellen Gesprächen deutliche Kritik an den anhaltenden Angriffen auf die unabhängige Zivilgesellschaft in der Türkei zu äußern und auf die Einhaltung der Menschenrechte zu drängen. "Nur weil Infrastrukturprojekte oder die NATO zusammenhalten – das kann und darf kein Freifahrtschein für Menschenrechtsverletzungen sein," warnt Mihr. Man müsse aufpassen, dass eine engere Partnerschaft mit Ankara nicht zur Bankrotterklärung menschenrechtlicher Prinzipien werde.
Deniz Yücel und Christian Mihr fordern von CDU-Chef Merz, bei seinen Gesprächen mit Präsident Erdogan nicht zurückzurudern, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte in der Türkei geht. Sie warnen davor, sicherheitspolitische Interessen über die Freiheit von Journalisten, die Rechte von Oppositionellen und die Zivilgesellschaft zu stellen. In den vergangenen Wochen hatten insbesondere Berichte über Festnahmen kritischer Medienschaffender und Demonstrationsverbote in Istanbul erneut für internationale Kritik an der türkischen Innenpolitik gesorgt.
Neuere Veröffentlichungen zeigen außerdem, dass sich der Druck auf regierungskritische Medien in der Türkei weiter verschärft hat. Auch die EU-Kommission äußerte zuletzt Bedenken über den Stand von Rechtsstaatlichkeit und Zensurpraktiken. Zeitgleich wird innerhalb Deutschlands diskutiert, wie weitreichend der Einfluss der türkischen Regierung auf Menschen türkischer Herkunft reicht und wie Politik darauf reagieren soll.