Türkei als möglicher Ausweichstandort für deutsche Unternehmen: Perspektiven und Herausforderungen

Martin Erdmann, ehemaliger deutscher Botschafter in Ankara, sieht in der Türkei zunehmend eine Alternative für deutsche Firmen, besonders vor dem Hintergrund angespannter Beziehungen zu China.

heute 13:22 Uhr | 29 mal gelesen

Ehrlich gesagt, klingt es beinahe widersprüchlich: Da entfernt sich die Türkei politisch immer weiter vom europäischen Wertekompass, aber ausgerechnet jetzt rückt sie als Alternativstandort für deutsche Unternehmen, die sich von China abnabeln wollen, stärker in den Fokus. Das zumindest findet Martin Erdmann, der bis 2020 als Botschafter in Ankara tätig war. Er äußerte in einem Gespräch mit dem Magazin Focus die Überlegung, dass gerade im Fall einer Verschärfung der deutsch-chinesischen Beziehung die Türkei als möglicher Produktions- und Handelsstandort in Betracht gezogen werde. Ganz nüchtern betrachtet, komme Deutschland aus geostrategischer Sicht ohnehin kaum an der Türkei vorbei: Sei es beim Wiederaufbau Syriens, beim Thema Migrationspolitik oder dem Rückführungsabkommen. Allerdings wirkt das alles auch ein wenig wie ein Balanceakt auf glitschigem Parkett. Erdmann selbst gibt zu: Die Türkei driftet von europäischen Normen ab – besonders sichtbar beim Fall Imamoglu, dem abgesetzten und inhaftierten Istanbuler Oberbürgermeister. Und trotzdem, so seine Sicht, „kommt es für den Westen kaum in Frage, auf enge Kontakte mit Präsident Erdogan zu verzichten“. Es klingt ein bisschen wie Zweckoptimismus: Aus politischen Notwendigkeiten heraus nimmt man es mit den Demokratiestandards und der Menschenrechtslage manchmal nicht allzu genau. Vielleicht auch, weil Realpolitik in solchen Bereichen ohnehin selten die saubere Lösung kennt.

Martin Erdmann, einst deutscher Botschafter in der Türkei, beurteilt die Chancen, dass die Türkei in der künftigen Standortstrategie deutscher Unternehmen eine größere Rolle einnehmen könnte, vor allem vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen im Verhältnis zu China. Strategisch betrachtet ist die Türkei für Deutschland und Europa kaum zu umgehen – sowohl wirtschaftlich als auch bei Fragen rund um Migration, wie das 'EU-Türkei-Abkommen' oder die Rückführung syrischer Flüchtlinge. Gleichzeitig sorgen Entwicklungen innerhalb der Türkei, gerade mit Blick auf Demokratie und Menschenrechte, für Skepsis und moralische Ambivalenz – zuletzt etwa durch das Vorgehen gegen den oppositionellen Bürgermeister Ekrem Imamoglu oder andere politische Gegner. Auch internationale Beobachter berichten immer wieder von Verschärfungen im Umgang mit kritischen Stimmen in der Türkei, einer zunehmenden Konzentration der Macht bei Präsident Erdogan und wiederholten Spannungen gegenüber europäischen Ländern. Trotz all dieser Probleme bleibt die Türkei im geopolitischen Kontext für Deutschland und Europa ein nicht zu unterschätzender Partner – eine Zwickmühle, die sich auch in aktuellen Medienberichten widerspiegelt.

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